12.07.2018

„Social Media“ haben Zeitungen und Fernsehen entmachtet

„Früher war alles besser.“ Das stimmt zwar so nicht, wird aber gerne seufzend vorgebracht – auch von Journalisten. Früher, also vor dem Siegeszug der „Social Media“ gab es zwei unumstößliche Regeln der Massen-Kommunikation. Regel 1: Was nicht in der Zeitung zu lesen, nicht im Hörfunk zu hören und nicht im Fernsehen zu sehen war, hat nicht stattgefunden. Regel 2: Die Medien und die Journalisten bestimmen die politische Tagesordnung.

Früher, das war nicht 1870/71. Das war vor 15 Jahren, als Friedrich Merz über die Sendung „Christiansen“ voll des Lobes sagte: „Diese Sendung bestimmt die politische Agenda mittlerweile mehr als der deutsche Bundestag". Das war aus dem Munde des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden zwar ein merkwürdiges Eingeständnis, aber es traf durchaus zu.

Das hat sich dramatisch verändert. Natürlich sind und bleiben Journalisten Agenda-Setter. Aber eben nicht mehr nur die Journalisten der klassischen Medien. Themen setzen und Meinung machen kann heute jeder, der in der Lage ist, über Twitter, Facebook, Youtube oder ein anderes der sogenannten sozialen Medien eine hinreichend große Zahl von Menschen zu erreichen, die das Gesagte oder Gestreamte im Netz weiter verbreiten.

In den Bloggern, Influencern und Aktivisten sind den Journalisten der klassischen Medien neue und ernstzunehmende Konkurrenten entstanden. Dazu zählen Blogger und Blogs wie Sascha Lobo, Nachdenkseiten, Achse des Guten oder Tichys Einblick. Oder Influencer wie Florian Mundt alias LeFloid mit mehr als 3 Millionen Abonnenten. Es war kein Zufall, dass sich Angela Merkel vor der Bundestagswahl 2017 von vier Influencern interviewen ließ: von den YouTubern Mirko Drotschmann (Künstlername: Mr. Wissen2Go), Lisa Sophie (ItsColeslaw), Alex Böhm (Alexi Bexi) und Ischtar Isik. Merkels Berater wussten sehr wohl, warum sie die Kanzlerin mit vier Zwanzigjährigen zusammenbrachten: Hinter denen standen damals 3 Millionen Abonnenten bei Youtube.

Journalisten sind keine „Türwächter“ mehr

Der Satz „Was nicht gedruckt oder gesendet worden ist, hat nicht stattgefunden“, stimmt einfach nicht mehr. Der Journalist als „Gatekeeper“, als Türwächter hat ausgedient. Heute gibt es veröffentlichte Meinung(en) jenseits von Zeitungen und Fernsehen. Das Internet hat eine zweite Medienwelt erschaffen. Die klassischen Medien sind sogar häufig die Getriebenen des Internets.

Nichts illustriert die neue Medienwelt besser als die Reaktion der Medien auf die massenhaften Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln. Es geschah in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Überregionale Medien berichteten erstmals am Montag, dem 4. Januar – und das noch sehr zurückhaltend. ARD und ZDF stiegen am Dienstag, dem 5. Januar ein, also fünf (!) Tage nach dem Ereignis. Aber im Internet waren die Übergriffe schon von Freitag/Samstag an ein Thema. Zudem wurde dort sehr negativ thematisiert, dass Zeitungen und Fernsehen sich des Themas nicht annahmen oder nicht annehmen wollten. Schließlich passte es nicht zum Geist der „Willkommenskultur“, dass Männer mit Migrationshintergrund, unter ihnen zahlreiche „Flüchtlinge“, massenhaft Frauen sexuell belästigt und bestohlen hatten.

Es lässt sich wohl kaum bestreiten: Ohne „Social Media“ wäre „Köln“ ein lokales Ereignis geblieben. Was ganz im Sinne der meisten klassischen Medien gewesen wäre, nicht zuletzt im Interesse von ARD und ZDF, bei denen die „Willkommenskultur“ besonders gepflegt wurde. Aber „Köln“ hat gezeigt: Die Profi-Agenda-Setter haben ihr Monopol verloren. Sie müssen mit der Konkurrenz der Blogger und Aktivisten rechnen, auch mit der Konkurrenz von politisch interessierten Bürgern, die die neuen Möglichkeiten nutzen, um Nachrichten und Meinungen zu verbreiten.

Welche Bedeutung die „Social Media“ beim Agenda-Setting erlangt haben, zeigt sich auch daran, dass viele bekannte Fernseh- und Zeitungsjournalisten eifrig auf Twitter und Facebook kommentieren. Sie machen dort aus ihrer politischen Ausrichtung keinen Hehl und rechtfertigen die bisweilen sehr eindeutige Parteinahme mit dem Hinweis, alle Äußerungen seien privat.

Einerseits ist es positiv, dass sich Bürger, Verbände oder politische Aktivisten unter Umgehung der klassischen Medien in den öffentlichen Diskurs einschalten können. Andererseits machen die Zersplitterung der Medienlandschaft und immer mehr Angebote für noch so kleine Minderheiten einen breiten politischen Diskurs immer schwieriger. Die klassischen Medien erreichen in bestimmten Milieus nur noch Minderheiten. Die Folge: Immer mehr Menschen leben, was ihr Informationsverhalten angeht, in Blasen.

Das hat erhebliche Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung. Donald Trump hat es vorgemacht: Er ignorierte die klassischen Medien, wurde ohne und gegen sie dennoch Präsident. Die Erfolge der FPÖ in Österreich wären auch nicht möglich gewesen, wenn es der Partei nicht gelungen wäre, sich über „Social Media“ an ihre potentiellen Wähler zu wenden. Die AfD war und ist ebenfalls dabei, ihre eigenen Kommunikationskanäle zu schaffen. So hat die AfD-Facebook-Seite mit inzwischen 410.000 Abonnenten die höchste Reichweite unter allen deutschen Parteien. Die Partei ist auch auf Twitter und Facebook ungleich aktiver als ihre Konkurrenten.

Das Internet hat den politischen Diskurs demokratisiert

Auch die klassischen Medien waren und sind nicht davor gefeit, Falsches zu verbreiten. Aber in den „Social Media“ lassen sich „Fake News“ viel leichter veröffentlichen, weil es eben keine redaktionellen „Gatekeeper“ gibt, die prüfen, was seriöse Information und was Fälschung ist. Welche Folgen die Verbreitung von „Fake News“ haben kann, zeigte sich vor kurzem, als ein Redakteur des Satire-Magazins „Titanic“ mitten im Asylstreit der Unionsparteien die „Nachricht“ verbreitete, CSU-Chef Seehofer kündige das Unionsbündnis auf und die CDU rüstete sich für einen Einmarsch in Bayern. Zahlreiche Medien und eine Nachrichtenagentur fielen darauf herein, verbreiteten den Unsinn sofort über Twitter und mussten ihre Eilmeldungen wieder verschämt zurückziehen. Über die Falschmeldung wurde sogar im Bundestag diskutiert, der Dax verlor ein halbes Prozent, und der Euro gab leicht nach. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft, auch beim Verbreiten von Nachrichten und Meinungen. Zweifellos hat die Glaubwürdigkeit der klassischen Medien darunter gelitten, dass in vielen Zeitungen und nicht zuletzt in den öffentlich-rechtlichen Anstalten sich immer mehr Journalisten nicht mehr als Berichterstatter und Kommentatoren verstehen, sondern eher als Meinungsmacher und politische Aktivisten. Dennoch ist die Glaubwürdigkeit von Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen immer noch höher als die von Blogs und Youtube-Kanälen. Je mehr sich in den klassischen Medien jedoch der Meinungsjournalismus zu Lasten des Informationsjournalismus ausbreitet, umso stärker dürfte deren Glaubwürdigkeitsvorsprung darunter leiden.

War früher alles besser? Paul Sethe hat 1965 geschrieben: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“. Das stimmt so nicht mehr. Die Möglichkeiten zur Verbreitung von Meinungen sind heute dank der „Social Media“ größer denn je. Das alles hat die politische Kommunikation nachhaltig verändert und wird sie noch weiter verändern. Denn eines ist sicher: Die klassischen Medien werden ihre alte Vormachtstellung nie wieder zurückerobern. Das Internet hat die politische Diskussion unwiderruflich demokratisiert. Und das ist auch gut so.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 12. Juli 2018.


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