23.05.2017

Matthias Jung: Stratege und Modernisierer

Kritiker nennen ihn „Demoskop der Kanzlerin“, seine Fans rühmen ihn als Erfinder der „asymetrischen Demobilisierung“. Matthias Jung, Vorstand der „Forschungsgruppe Wahlen (FGW)“ in Mannheim, erträgt beide Etiketten gelassen. Ja, er stehe politisch der CDU näher als der Linkspartei, räumt der 61jährige, deutlich jünger wirkende Jung ein. Den Begriff der asymetrischen Demobilisierung habe er „als Wissenschaftler geprägt, um vorhandene Sachverhalte und Überlegungen zu präzisieren.“

Asymetrische Demobilisierung beschreibt die Strategie einer Partei, dem Gegner Themen wegzunehmen und einen so konfliktarmen Wahlkampf zu führen, dass die gegnerischen Anhänger eingeschläfert, also de-mobilisiert werden. Mit dieser Methode hat die CDU 2009 und 2013 die SPD deutlich unter 30 Prozent gedrückt. Hat der Sozialwissenschaftler Jung diese Strategie erfunden oder nur beschrieben? Da weicht Jung aus: Das sei ein „ambivalenter Prozess“ gewesen. Man lande gesprächsweise auch „bei analytischen Kategorien“. Keineswegs habe er der CDU „eine Blaupause“ für diese Strategie geliefert.

Jung hat bei seinem akademischen Lehrer Rudolf Wildenmann gelernt, militär-strategisch zu denken, also „sehr genau und sehr brutal die Analyse von der Strategie zu trennen.“ Soll heißen: Nur wer sich ein nüchternes, unparteiisches Bild von der Lage mache, könne auch eine erfolgversprechende Strategie entwickeln. Dazu aber sind Parteifunktionäre kaum in der Lage.

Seine Distanz zu Mitgliedern und Funktionären der Parteien bringt Jung „wissenschaftlich überspitzt“ auf die Formel, diese lebten in „Parallelgesellschaften“. So macht er sich einen Spaß daraus, bei Vorträgen vor CDU-Publikum eine Karikatur an die Wand zu werfen, auf der in einer leeren Kirche zwei alte Weiblein sich zuflüstern, die CDU müsse endlich wieder an ihre Stammwähler denken. Dann folgen Charts über den dramatisch gesunkenen Anteil kirchlich gebundener Wähler und die Sterberate der Wähler in der Gruppe 60 plus. Seine Botschaft ist klar: Nur eine modernisierte CDU hat heute noch eine Chance.

Das Aufkommen der AfD sieht Jung ganz nüchtern. Die Bundesrepublik habe als einziges demokratisches Land in Europa keine dezidiert rechte Partei gehabt; jetzt hätten die Ewiggestrigen und Rechtsradikalen hierzulande eben auch eine politische Heimat. Dabei hat Jung 2014 mit seiner steilen These den Berliner Politbetrieb verstört, wonach die AfD „rein numerisch und macht-technisch eine Chance für die Union“ darstelle. Seine Begründung: Die parlamentarische Existenz der AfD verhindere Mehrheiten gegen die Union. Deshalb habe er „die depressive Reaktion der Union auf die AfD“ von Anfang an „für nicht adäquat“ gehalten.

Nun hat es in Berlin und Thüringen trotz starker AfD für Rot-Rot-Grün gereicht, was Jung von seiner These nicht abbringt: „Im Saarland hätte es bei einem Scheitern der AfD für Rot-Rot gereicht.“ 2 Mal geirrt, 1 Mal Recht behalten? Darauf lässt Jung sich mit seinem stark ausgeprägten Selbstbewusstsein nicht ein. Über Kritiker und Wettbewerber äußert er sich im kleinen Kreis mit einer gewissen Spottlust und sehr direkt. Dabei fallen durchaus im rauen Mannheim gängige Kraftausdrücke.

Jung zieht gern hinter den Kulissen Strippen; der öffentliche Auftritt ist seine Sache nicht. „Ich muss nicht zu allem meinen Senf geben. Wir legen halt mehr Wert auf Relativierung als auf Überpointierung.“ Deshalb habe sich die Forschungsgruppe ein seriöses Image erarbeitet. „Wer immer sensationsgierig durch die Lande zieht, produziert auch viel heiße Luft.“ Was Jung ständig ärgert: Dass die meisten Medien aus einer Prognose eine Vorhersage machen und häufig unterschlagen, dass ein prognostizierter Stimmenanteil von 40 Prozent auch 37 oder 43 Prozent bedeuten kann.

Jung ist der lebendige Beweis, dass man auf dem Weg nach oben kein polyglotter Job-Hopper sein muss. Der Sohn eines Psychiaters und einer Gymnasiallehrerin wurde in Speyer geboren, hat in Ludwigshafen Abitur gemacht und nach dem Wehrdienst in Mannheim Ökonomie, Politische Wissenschaft und Mathematik studiert. 1983 wurde er Assistent bei Wildenmann, dem Pionier der Hochrechnungen in Deutschland. 1987 wechselte er zur Forschungsgruppe, die das ZDF mit dem Politbarometer, Hochrechnungen und Wahlanalysen beliefert. 1991 rückte Jung in den aus drei, formal gleichberechtigten Mitgliedern bestehenden FGW-Vorstand auf, stieg dort schnell zum eigentlichen Chef auf.

Über sein Privatleben äußert sich der Vater von zwei erwachsenen Kindern nicht. Umso bekenntnisfreudiger klagt er darüber, dass der badische Teil der Pfalz zu Baden-Württemberg gehört. Deshalb spricht er – im unüberhörbaren pfälzischen Tonfall – von „Mannem“ und Heidelberg als „SBZ“, als „Schwäbisch Besetzte Zone.“ Dass er mit dieser Meinung nicht mehrheitsfähig ist – dafür braucht er keine Umfrage.

Veröffentlicht in CICERO, Heft 5/17, Mai 2017.


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