03.08.2016

Unter Rot-Grün wäre alles noch viel schlimmer

Es gibt gute Gründe, die im vergangenen Spätsommer ausgerufene Willkommenspolitik zu kritisieren: die unkontrollierte Öffnung der Grenzen; die Haltung, man werde das schon irgendwie schaffen, ohne genau zu definieren, was „das“ eigentlich ist; die Verharmlosung der damit verbundenen Gefahren für die Innere Sicherheit; das großzügige Hinwegsehen über die dadurch verursachten Kosten; die moralisierende Kritik an allen Nachbarländern, die das anders sahen und sehen.

Es kann nicht überraschen, dass Angela Merkels Flüchtlingspolitik in den Umfragen längst nicht mehr so gut wie damals beurteilt wird im vor Gutmenschlichkeit überbordenden Spätsommer 2015. „Jeder Flüchtling ist eine Bereicherung für das Land“ schrieb Giovanni di Lorenzo im August 2015 in der „Zeit“. Dieser Cheerleader stand nicht allein. Fast alle großen Zeitungen und Magazine sowie der öffentlich-rechtliche Willkommens-Rundfunk bildeten damals meinungsmäßig mehr oder weniger eine Einheitsfront.

Was angesichts der Merkel-Selfies mit glücklichen Zuwanderern unterging: Es handelte sich keineswegs um Merkels private Flüchtlingspolitik, die vom 5. September 2015 an exekutiert wurde. Die Kanzlerin hatte den Koalitionspartner SPD fest an ihrer Seite, zudem die Grünen und anfangs sogar Die Linke. Kein Wunder: Denn Merkels Politik der ungesteuerten und unkontrollierten Zuwanderung war nichts anderes als die Umsetzung rot-grüner Träume: Je mehr Zuwanderer, umso besser. Die CDU-Kanzlerin passte sich, wie schon beim abrupten Atomausstieg im Frühjahr 2011, dem Zeitgeist an: die neue CDU in der neuen bunten Republik.

Es lohnt sich deshalb, einmal darüber nachzudenken, wie dieses Land mit Blick auf die Flüchtlingsströme der Jahre 2014 und 2015 aussähe, wenn nach der Bundestagswahl 2013 eine rot-grüne oder eine rot-rot-grüne Bundesregierung ins Amt gekommen wäre. Nimmt man die Wahlaussagen der Parteien links von der Mitte als Maßstab, dann wäre Folgendes passiert:

- Allen 2014 in Deutschland illegal beziehungsweise geduldet lebenden Zuwanderern wäre das Aufenthaltsrecht gewährt worden. Stichwort: Bereinigung von Altlasten.

- Bei bereits abgelehnten, gleichwohl „integrierten“ Asylbewerbern würde seitdem auf eine Abschiebung verzichtet. Die jetzt beschlossene Erleichterung von Abschiebungen wäre gar nicht mehr nötig gewesen.

- Durch ein „liberales“ Einwanderungsgesetz wäre der Zuzug nach Deutschland mehr oder weniger für alle möglich, die hier – tatsächlich oder vermeintlich – Arbeit suchen.

- Die Sozialleistungen für Flüchtlinge wären längst deutlich höher, die Attraktivität Deutschlands als Zufluchtsort damit noch größer.

- Die Asylverfahren wären nicht beschleunigt worden, wie inzwischen im Asylpaket I beschlossen wurde. Eher hätte sich Rot-Rot-Grün auf noch längere Verfahren und noch mehr Rechtswege zugunsten der Betroffenen geeinigt.

- Albanien, Kosovo, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien wären nicht zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden (Asylpaket I und II).

- Der Familiennachzug wäre für Menschen, die subsidiären Schutz genießen, nicht für zwei Jahre ausgesetzt (Asylpaket II), sondern für alle Flüchtlinge erleichtert und beschleunigt worden.

- Verstöße gegen die Residenzpflicht während des Asylverfahrens würden nicht geahndet (Asylpaket I), eine Wohnsitzauflage für Menschen mit Bleiberecht wäre niemals eingeführt worden (Integrationsgesetz).

- Eine rot-grüne bzw. rot-rot-grüne Regierung hätte alles getan, um den Vertrag der EU mit der Türkei zu verhindern.

- Der türkische Sportminister hätte am Sonntag nicht für alle hier lebenden Türken den Doppelpass zu fordern brauchen; die Türken dürften wie alle anderen Zuwanderer neben dem Pass ihres Heimatlandes selbstverständlich auch einen deutschen haben und jeweils den benutzen, der ihnen am meisten nutzt.

Bei allem Unverständnis über Merkels Kurs im September vor einem Jahr: Im Windschatten ihrer Willkommenspolitik sind die Asylgesetze deutlich restriktiver geworden. Dabei war die Kanzlerin eher eine Getriebene als die treibende Kraft. Ohne die Opposition der CSU und ohne die offene Kritik der Rechts- und Sicherheitsexperten in den Reihen der CDU-Abgeordneten hätte Merkel den rot-grünen Willkommens-Pfad eher zur Willkommens-Autobahn ausgebaut.

Bei dem Versuch, den Weg nach Deutschland wenigstens etwas zu erschweren, hat die SPD jedes Mal erst laut protestiert und dann mitgemacht. Selbst bei den Grünen sind einige zur Besinnung gekommen und haben im Bundesrat wichtige Gesetze passieren lassen. Das ändert freilich nichts daran, dass Kollateralschäden nicht zu reparieren sind: ein Großteil der 2015 ins Land geströmten Menschen wird lebenslänglich auf staatliche Hilfe angewiesen sein, die Parallelgesellschaften werden sich ausdehnen und die Sympathie vieler Bürger für rechtspopulistische und rechtsradikale Positionen dürfte eher zu- als abnehmen.

Eines ist klar: In der Politik gibt es wie im wahren Leben immer eine Alternative. Die rot-grüne bzw. rot-rot-grüne Alternative zur Merkel‘schen Politik wäre indes noch schlimmer gewesen als das, was vor gut einem Jahr begann.

Veröffentlicht in „Tichys Einblick“ vom 3. August 2016.


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