29.11.2023

Unsäglicher Vergleich: Cohn-Bendit: Für die CDU sind die Grünen wie die Juden“

Das Jahr 2023 wird in die Annalen der Grünen nicht gerade als besonders erfolgreich eingehen: Herbe Verluste bei gleich drei Landtagswahlen (Bremen, Hessen, Bayern), dazu in zwei Ländern nicht mehr an der Regierung (Berlin, Hessen) und obendrein die schlechtesten Umfragewerte im Bund seit fünf Jahren. Da kommt schon Frust auf.

Den reagieren die Grünen vor allem an der CDU und insbesondere an Friedrich Merz ab. Auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende war der Oppositionsführer die Zielscheibe heftiger Angriffe. Das fand selbst der „Tagesspiegel“ des Guten beziehungsweise des Bösen zu viel, obwohl das Blatt in Treue fest zu linksgrüner Politik steht.

So schreibt Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff über den frustrierten Ober-Grünen Robert Habeck: Der habe sich für die Delegierten etwas ausgesucht, „gegen das sich gut gemeinsam sein lässt. Habeck hat sich dafür Merz ausgesucht. Seine Partei von gestern, er von vorgestern – das nennt sich in Rede und Rhetorik Kopplung des Gegners mit negativen Argumenten. Einfacher gesagt: Hau drauf, und die Mehrheit wird johlen.“

Grüne klagen: CDU hat uns nicht mehr lieb

In der Tat: Die Mehrheit in den Karlsruher Messehallen hat – wie von Habeck gewünscht – immer dann gejohlt, wenn der Name Merz fiel. Denn die Grünen sind in der Seele tief verwundet. Sie können partout nicht verstehen, dass die CDU – siehe Berlin, siehe Hessen – inzwischen lieber mit der SPD koaliert, als mit ihnen. Schon 2021 hatte der keineswegs als konservativer Hardliner verschrieene Reiner Haseloff (CDU) in Sachsen-Anhalt die FDP gegen die Grünen als Koalitionspartner getauscht.

Alle Ausfälle gegen Merz, seine Charakterisierung als Ewiggestriger und seelenloser Gegner der kleinen Leute, sind harmlos im Vergleich zu dem, was der Ur-Grüne Daniel Cohn-Bendit jetzt zu Protokoll gegeben hat: Die CDU behandle die Grünen wie Juden. Das war in der Bundesrepublik unter Demokraten bisher nicht üblich: den politischen Wettbewerber mit Antisemiten gleichzusetzen, die die Juden auszurotten versuchten und unverändert versuchen.

Cohn-Bendits diffamierende Äußerung fiel im Rahmen mehrerer ausführlicher Gespräche mit der „Süddeutschen Zeitung“. Auslöser war die Push-Meldung auf seinem Handy, dass der hessische Ministerpräsident Boris Rhein und die CDU nach zehn Jahren Schwarz-Grün künftig mit der SPD koalieren wollen.

Cohn-Bendit nennt CDU „bürgerliches Gesocks“

Was der schäumende Cohn-Bendit daraufhin von sich gab, zitiert die „SZ“ so: „Im Grunde genommen wollen sie die Parenthese, dieses Zwischenspiel mit den Grünen, beenden. Dieses bürgerliche Gesocks“ – er entschuldigt sich sofort für das Wort und schimpft gleich weiter – „die Bürgerlichen haben sich die Grünen zum Hauptfeind erkoren. Sie meinen, die Republik gehört ihnen allein. Da sind die Grünen wie die Juden, sie stören nur.“

Cohn-Bendit, schon in den Anfangszeiten der Grünen zusammen mit Joschka Fischer ein entschiedener „Realo“, war 2009 für die französischen Grünen ins Europäische Parlament gewählt worden, hat sich später mit ihnen überworfen, ist jedoch weiterhin Mitglied der deutschen Grünen. Parteipolitisch ist er sozusagen im Ruhestand, publizistisch jedoch unverändert aktiv.

Mit der Gleichsetzung der CDU mit Antisemiten fällt Cohn-Bendit selbst bei den Grünen aus dem Rahmen. Doch passt seine unsägliche Attacke insofern ins grüne Muster, als die Öko-Partei sich allen anderen Parteien überlegen fühlt – politisch und vor allem moralisch. Mit so einer Partei muss eigentlich jeder koalieren wollen. Dass die Grünen ihrerseits, wann immer es möglich ist, lieber mit der SPD und der Linken kooperieren als mit der CDU, ist aus ihrer Sicht kein Widerspruch. Schließlich kann niemand besser wissen als sie, was in welcher Situation die richtige Lösung ist.

Nur schlimm, dass die Union das partout nicht erkennen will. Folglich konnten die hessischen Grünen es nicht fassen, dass die CDU nicht länger mit ihnen die Macht teilen will. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir giftete, die hessische CDU hoffe, dass der eigene Stern heller leuchte, wenn man sich mit kleinen Lichtern umgebe. Die Enttäuschung, ja der Zorn Al-Wazirs ist insofern verständlich, als er noch im Sommer davon ausging, selbst in die Staatskanzlei einziehen zu können. Jetzt steht er als schlechter Verlierer da.

In Hannover setzt sich die SPD von den Grünen ab

Die Grünen klagen und jammern nicht nur über eine CDU, die ihnen in Berlin und Hessen die kalte Schulter zeigt. Jetzt müssen sie auch noch den Liebesentzug der Sozialdemokraten in Hannover beklagen. Dort hat nämlich die SPD das kommunale Bündnis mit den Grünen aufgekündigt. Dass Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) sein Ziel einer fast autofreien Innenstadt bis 2030 angeblich im Hau-Rück-Verfahren durchsetzen wollte, ging der SPD gegen den Strich.

Bei der Entscheidung der SPD spielte nach Informationen des NDR Niedersachsen offenbar auch der Bundestrend eine Rolle. "Bei der SPD ist Panik ausgebrochen", will der NDR erfahren haben. Offenbar macht sich die Sorge breit, die SPD könne bei den kommenden Wahlen wichtige Wahlkreise an CDU und AfD verlieren. Eine gewisse Distanz zu den Grünen könnte nach Ansicht der Hannoveraner SPD da nicht schaden.

Den niedersächsischen SPD-Genossen wird Cohn-Bendit nicht vorwerfen, sie behandelten die Grünen „wie die Juden“. Die Kommunalpolitik in der niedersächsischen Hauptstadt ist diesem „Staatsmann“ (SZ) wohl ein paar Nummern zu klein. Da liegt dem Ex-Frankfurter Hessen dann doch viel näher. Auch seine lange politische Tätigkeit in der Rhein-Main-Metropole und seine Verbundenheit mit Hessen können seinen unsäglichen Juden-Vergleich indes nicht rechtfertigen.

Cohn-Bendit stimmt ein in den Chor der grünen Klageweiber und Klagemänner, sie würden von den anderen nicht angemessen behandelt. Für seinen niveaulosen Juden-Vergleich kann das keine Begründung sein. Immerhin darf sich Cohn-Bendit damit trösten, dass sein Gesprächspartner, der SZ-Mitarbeiter Willi Winkler, sich daran nicht im Geringsten störte. Nicht auszudenken, wie die groß die Empörung der SZ ausgefallen wäre, wenn ein Unionspolitiker sich ähnlich geäußert hätte. Mögen auch ihre Wähler und Sympathisanten weniger werden, auf die ihnen nahestehenden Medien können sich die Grünen weiterhin verlassen.

Von den Grünen gab es am Dienstag keine Stellungnahmen zu Cohn-Bendits Tirade. Mit einer Ausnahme: Der langjährige Grünen-Abgeordnete und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, nannte Cohn-Bendits Äußerungen auf der Plattform X „Deplatziert. Daneben. Ahistorisch. Absurd.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 29. November 2023)


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