14.09.2023

Oskar und Gerd: Kriegstreiber Putin als geistiger Friedensstifter der einst verfeindeten Spitzengenossen?

Von wegen Altersstarsinn, wir werden altersmilde. Das behaupteten Forscher der Universität Cambridge schon vor fünf Jahren. Ihre Begründung: Die Bereiche im Gehirn, die für Verträglichkeit und Launen verantwortlich sind, veränderten sich im Laufe der Zeit so, dass wir freundlicher werden.

Die These der britischen Wissenschaftler ist jetzt von zwei deutschen Politikern bestätigt worden: Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine haben sich auf ihre alten Tage ausgesöhnt. Wie der „Stern“ berichtet, hat Ex-Kanzler Schröder dem Ex-Vorsitzenden von SPD und Linkspartei, Lafontaine, zu seinem 80. Geburtstag, den dieser am kommenden Samstag begeht, gratuliert.

„80 Jahre alt zu werden, ist gewiss ein Grund, alte Reibereien Geschichte werden zu lassen“, schreibt Schröder. Zugleich dankt er dem einstigen Parteigenossen „für deine jahrzehntelange Freundschaft – auch in schwierigen Zeiten“. Vorausgegangen war laut „Stern“ im Mai ein fünfstündiges Treffen der beiden einstigen Alpha-Tiere der SPD im Saarland. Mit dabei waren deren aktuelle Ehefrauen So-yeon Schröder-Kim und Sahra Wagenknecht. Die eigentliche Versöhnung soll aber unter vier Augen vollzogen worden sein. Echte Kerle wie Gerd und Oskar brauchen dazu keinen weiblichen Beistand.

Aus Verbündeten gegen die „Alten“ wurden im Laufe der Zeit Konkurrenten

Das Verhältnis der beiden war schon vor ihrem Bruch im Jahr 1999 durch Aufs und Abs gekennzeichnet. In den 1970er- und 1980er-Jahren standen beide in der SPD weit links, bekämpften die von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) vorangetriebene Nato-Nachrüstung und verbündeten sich bisweilen mit der Friedensbewegung. Beide hatten als Ministerpräsidenten an der Saar beziehungsweise in Hannover erheblichen Einfluss auf die Bundes-SPD. Beide zählten zu den „Enkeln Willy Brandts“, galten als Hoffnungsträger. Wie Brandts Kanzleramtsminister Horst Ehmke in seinen Erinnerungen schrieb, soll Lafontaine sogar der Lieblingsenkel von Willy gewesen sein.

Aus Verbündeten gegen die „Alten“ wurden im Laufe der Zeit Konkurrenten. Lafontaine wollte bei der Bundestagswahl 1998 nochmals gegen Helmut Kohl (CDU) antreten, nachdem er bereits 1990 gegen den „Kanzler der Einheit“ verloren hatte. Schröder trickste ihn jedoch aus, indem er die niedersächsische Landtagswahl im Frühjahr 1998 zu einem Plebiszit über die Kanzlerkandidatur machte und fulminant gewann. Lafontaine ließ ihm den Vortritt, in der irrigen Annahme, es wäre egal, wer unter ihm Kanzler werde.

Ungeachtet aller Rivalitäten hat Schröder seine Nemesis Lafontaine viel zu verdanken. Hätte der Saarländer 1995 nicht gegen den glücklosen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping geputscht und die Partei auf Vordermann gebracht, wäre Schröder 1998 nicht Kanzler geworden. Und hätte Lafontaine 2005 nicht maßgeblich zur Abwahl Schröders beigetragen, wäre dieser anschließend nicht als Lobbyist und Putins Statthalter in Deutschland zum Multimillionär geworden.

Aus Verbündeten gegen die „Alten“ wurden im Laufe der Zeit Konkurrenten

Ohne Oskar kein Kanzler Gerd und auch kein „Gas-Gerd“. Doch der Bruch der beiden führte zu Schröders schmerzlichster politischen Niederlage. Als Lafontaine ein halbes Jahr nach Schröders Einzug ins Kanzleramt von allen Ämtern – Finanzminister und SPD-Vorsitzender – zurücktrat, begann er, den Ex-Parteifreund und dessen Politik gnadenlos zu attackieren. Als Publizist und Dauergast in Talkshows ließ er an Rot-Grün kein gutes Haar, verurteilte vor allem Schröders „Agenda 2010“ und insbesondere die Hartz-Gesetze scharf.

Aus dem Kritiker wurde ein parteipolitischer Gegner, als Lafontaine 2005 in die PDS eintrat und so der Westausdehnung der umbenannten SED maßgeblich zum Erfolg verhalf. Die 8,7 Prozent der PDS bei der Bundestagswahl 2005 bedeuteten das Ende von Rot-Grün und den Beginn der 16-jährigen Kanzlerschaft Angela Merkels (CDU). Dass Schröder das Lafontaine nicht verzeihen konnte, ist menschlich sogar verständlich.

Nun haben sie sich also ausgesöhnt. Das mag mit der Altersmilde zu tun zu haben. Hilfreich für den Neubeginn einer wunderbaren Freundschaft dürften außenpolitische Übereinstimmungen sein. Als die Schröders mit dem Ehepaar Lafontaine/Wagenknecht zusammensaßen, waren Putin-Versteher unter sich. Schließlich sind sie sich darin einig, dass der Westen Putin bei seinem mörderischen Krieg unter keinen Umständen behindern soll – weder durch Wirtschaftssanktionen gegen Russland noch durch Waffenlieferungen an die Ukraine. So hat der Kriegstreiber im Kreml an der Saar als geistiger Friedensstifter gewirkt. Es fand zusammen, wer zusammengehört.

Helmut Schmidt und Lafontaine haben sich nie versöhnt

Die neuen/alten Männerfreunde haben noch etwas gemeinsam: Beide sind in ihrer bisherigen politischen Heimat isoliert. Lafontaine ist aus der Linken ausgetreten, seine Frau will die Partei durch eine Neugründung erledigen. Schröder hat das erste Parteiausschlussverfahren überstanden; weitere dürften noch folgen. Nur mit Müh und Not haben die SPD-Genossen in Hannover einen Weg gefunden, ihrem einstigen Star die Urkunde für 60-jährige Mitgliedschaft zu überreichen. Da gilt bekanntlich: Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Schröder und Lafontaine haben es auf ihre alten Tage geschafft, wieder miteinander zu reden. Das gelang zwei anderen verfeindeten Sozialdemokraten, Schmidt und Lafontaine, nie. Vor mehr als drei Jahrzehnten hatte Lafontaine frech wie Oskar gelästert: „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzise gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“ Damit war das Tischtuch zerschnitten und wurde auch nie wieder zusammengenäht. Altkanzler Schmidt genoss – 26 Jahre später – seine Rache kalt. Er verglich den inzwischen zur Linkspartei gewechselten Lafontaine mit „Adolf Nazi“: Beide seien charismatische Redner gewesen.

Oskar und Gerd reden also wieder miteinander. Eigentlich war das sogar abzusehen. Vor sechs Jahren hatte der Altkanzler in einem Gespräch mit dem „Spiegel“ resümiert, wenn man so langsam auf die 75 zugehe „relativieren sich alte Gegnerschaften“. Das bezog sich damals auf seine beiden Gegenspieler von der Union, Angela Merkel und Edmund Stoiber. Inzwischen hat sich auch die Gegnerschaft zum Ex-Genossen Oskar relativiert. Der dürfte sich dann mit einer öffentlichen Gratulation zum 80. von Gerd revanchieren – im April 2024.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 14. September 2023)


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