17.09.2021

Baerbock genießt im Fernsehen eine Sonderbehandlung

Ist es erst fünf Monate her, als die Grünen in den Umfragen vor der CDU/CSU lagen und die meisten Medien geradezu von einer Kanzlerin Annalena Baerbock schwärmten? In der Tat: Fünf Monate können in der Politik eine Ewigkeit sein.

Zehn Tage vor der Wahl ist die Ökopartei von 26 auf 15 Prozent geschrumpft, mit fallender Tendenz. Der Favorit ist der Sozialdemokrat Olaf Scholz, dessen Partei bei Baerbocks Ausrufung zur Spitzenkandidatin mit mageren 14 Prozent im Umfragetief steckte.

„Ich als nächste Bundesregierung“

Angesichts dieser Zahlen lag die Eingangsfrage der ZDF-Sendung „Klartext, Frau Baerbock!“ nahe:  Ob sie noch auf Sieg spiele bei diesen schlechten Umfragewerten, wollte Bettina Schausten wissen, die zusammen mit Peter Frey die Runde mit vom ZDF ausgewählten Bürger moderierte.

Baerbocks Antwort konnte nicht überraschen. Natürlich will sie mit den Grünen die Bundestagswahl noch gewinnen. Aber sie sprach nicht von sich als künftiger Kanzlerin. Vielmehr verwendete sie mehrfach die etwas verschwurbelte Formulierung „Ich als nächste Bundesregierung“. Das wäre mal ganz was Neues: Eine Ein-Frau-Regierung.

Baerbock genießt im TV einen Sonderstatus

Eine andere Frage lag aber eigentlich näher: Warum behandeln ZDF, ARD und die privaten TV-Sender die Spitzenkandidatin der Grünen noch immer so, als habe sie unverändert eine realistische Chance auf die Kanzlerschaft? Dabei kleben nicht einmal die Grünen Plakate, auf denen Baerbock als Kanzlerkandidatin angepriesen wird. Im Fernsehen allerdings genießt die Spitzenkandidatin der 15 Prozent-Grünen Privilegien, die dem Spitzenkandidaten der FDP, Christian Lindner, konsequent verwehrt werden: Auf sie zugeschnittene Sendungen sowie ihre Präsenz an den Triellen mit Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD).

Eine ähnliche Sonderbehandlung genoss der SPD-Kandidat Scholz, der im Frühjahr ganz selbstverständlich für die „Kanzler-Runden“ eingeplant wurde, obwohl er den Umfragen zufolge keine Chance hatte. So wie Baerbock jetzt ungeachtet sinkender Zustimmung dabeibleiben darf. Das lässt sich nur so erklären, dass man in den Funkhäusern zunächst meinte, man müsse dem Sozialdemokraten unbedingt noch eine Chance geben; aktuell herrscht wohl die Ansicht vor, zusätzliche Sendezeit könne der Grünen nicht schaden. Da wird man den Verdacht nicht los, den Sendern gehe es nicht zuletzt darum, Laschet stets mit zwei politischen Gegnern zu konfrontieren.

Überraschung: viele kritische Fragen

Nach welchen Kriterien im ZDF – ebenso wie bei der ARD – die angeblich repräsentativen Bürger ausgewählt werden, die Fragen stellen dürfen, werden Öffentlichkeit und Gebührenzahler wohl nie erfahren. Bei Laschet kamen stets mehr zu Wort, die aus ihrer Abneigung gegen den Kandidaten keinen Hehl machten; bei Baerbock und Scholz war es dagegen umgekehrt. Da bildete die Klartext-Sendung am Donnerstagabend eine Ausnahme: Baerbock musste sich gegen Kritik an der Grünen-Politik verteidigen.

Eigentlich lief es gut für Baerbock, weil von den Fragestellern überwiegend ihre Standard-Themen angesprochen wurden: Energiepolitik, Klima, Ernährung, Gleichstellung der Frau. Aber es kamen aus Sicht der Grünen wohl eher die falschen Fragen: Wie sinnvoll es sei, deutsche Braunkohle-Kraftwerke stillzulegen, wenn jenseits der Grenze zu Polen weiter Kohle verfeuert werde? Wie man unter 250 Meter hohen Windrädern nachts noch schlafen könne? Wie Autofahrer auf dem Land bei den immer höheren Spritpreisen noch zurechtkommen sollen? Wie der Durchschnittsverdiener sich ein teures E-Auto leisten solle? Was das Gendern („Sprachdiktatur“) denn zur Gleichberechtigung der Frauen beitragen könne? Wie landwirtschaftliche Betriebe bei immer neuen Auflagen überleben sollten? Wie energieintensive Industrien bei steigenden Energiekosten wettbewerbsfähig bleiben könnten?

„Ich teile das Problem total“

Baerbock tat, was alle Kandidaten in solchen Fällen tun: Sie zeigte Verständnis für die Sorgen der Bürger, machte sich deren Anliegen geradezu überschwänglich zu eigen: „Ich teile das Problem total“. Wo immer es klemmt, hat Baerbock ein Patentmittel: mehr Geld vom Bund, nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für Landwirte, Industriebetriebe, Kommunen, Kitas, Schulen, eine Grundrente von 1200 Euro im Monat. Eine Frage nach der Finanzierung blieb ihr erspart.

Dafür zeigte sie sich überzeugt, dass sich das irgendwie schon alles auf einen Nenner bringen lasse: die hohen Energiekosten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, den teilweisen Ersatz des Autos durch Busse und Bahnen, den Ausbau der erneuerbaren Energien ohne Nachteile für die betroffenen Bürger. Das erklärte sie wortreich wie immer, aber eher unspezifisch. Und lernte nebenbei, dass hierzulande das teure Biofleischs gerade mal 5 Prozent des Fleischverbrauchs ausmacht und ein Landwirt für den Liter Milch nur 31 Cent erzielen kann, und nicht 50 Cent, wie Baerbock vermutete.

Mit „Visionen“ und „Kraft“

Am heikelsten wurde es für Baerbock, als ZDF-Chefredakteur Frey wissen wollte, wodurch sie sich eigentlich auf die Aufgabe einer Kanzlerin vorbereitet fühle. Bei anderer Gelegenheit hatte die Grüne mal erwähnt, wer als berufstätige Mutter den Stress mit zwei kleinen Kindern aushalte, der sei für alles gewappnet. Das war in der Öffentlichkeit nicht so gut angekommen.

Also begründete Baerbock, die noch nie ein Regierungsamt bekleidet hat, ihre Qualifikation für das wichtigste politische Amt mit ihrer „klaren Vision“, ihrer Kraft, und dass das Land einen Aufbruch brauche. Dem ZDF-Chefredakteur reichte dies als Antwort. Wie viele Wähler das auch so sehen, wissen wir in zehn Tagen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 17. September 2021)


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