28.07.2020

Söders Vetorecht ist nach dem CDU-Parteitag nichts mehr wert

Die Union steht eigentlich sehr gut da: Die Partei rangiert in den Umfragen bei seit langem nicht mehr erreichten Werten von 37 bis 38 Prozent, die Grünen sind liegen deutlich abgeschlagen auf Platz zwei und die SPD kommt nicht einmal mehr auf halb so viel Zustimmung wie die CDU/CSU. Gleichzeitig steht die Union sehr schlecht da: Für die Wahl des neuen Parteivorsitzenden gibt es mehrere Kandidaten, aber keinen eindeutigen Favoriten. Zudem ist völlig ungeklärt, ob die CSU den neuen Vorsitzenden als Kanzlerkandidaten unterstützen wird oder ob ihr eigener Parteichef, Markus Söder, selbst kandidieren will. Da fällt einem der Titel eines alten Films von Alexander Kluge ein: „Artisten in der Zirkuskuppel – ratlos“.

Auch der Bäume-Umarmer trickst gerne

Ob der bayerische Ministerpräsident tatsächlich antritt, weiß wohl nur er selbst, sofern er sich bereits entschieden hat. Ganz sicher aber nutzt Söder die Gunst der Stunde, um die Position der CSU gegenüber der CDU zu stärken. Das tut er, ungeachtet des neuen Images eines auf Konsens erpichten Bäume-Umarmers, auf gewohnt trickreiche Weise. Die große Schwester CDU, so seine Einlassung, habe selbstverständlich das Vorschlagsrecht für die Kanzlerkandidatur, die CSU dagegen das Vetorecht. So kraftmeierisch ist einst nicht einmal Franz Josef Strauß aufgetreten. Der hatte die CSU 1976 zwar beschließen lassen, dass sie Strauß für „den geeigneten Kandidaten“ halte, musste aber letztlich dem von ihm geringgeschätzten Helmut Kohl den Vortritt lassen. Von einem Veto war damals nicht die Rede. Die Lage ist verzwickt. Von den beiden aussichtsreichen Bewerbern um den CDU-Vorsitz, Armin Laschet und Friedrich Merz, wird im Dezember jeder mit dem Anspruch antreten, als CDU-Vorsitzender selbstverständlich Kanzler werden zu wollen. Der ohnehin chancenlose dritte Bewerber, Norbert Röttgen, hat zwar in einem Akt der Verzweiflung angedeutet, er könne sich einen Kanzlerkandidaten von der CSU vorstellen, was seine Chancen aber eher weiter geschmälert haben dürfte. Jens Spahn, offiziell die Nummer zwei im „Team Laschet“, wird zwar mehr außerhalb als innerhalb der Union als der Mann gehandelt, der doch noch aufs Kandidaten-Karussell aufspringen könnte, zusagen als Nummer zwei im „Team Söder“: mit dem Bayern als Kanzlerkandidaten und ihm als selbstlosem, der gemeinsamen Union-Sache verpflichteten CDU-Vorsitzenden. Nur: Es gibt bisher kein Anzeichen dafür, dass Laschet sich zugunsten von Spahn zurückziehen könnte. Der wiederum kann nicht gegen Laschet antreten, nachdem er im März unter der Überschrift parteiinterner Solidarität sich hinter Laschet eingereiht hatte.

Die CDU will vor dem Parteitag Klarheit in der K-Frage

Bei Lichte besehen lässt sich die von der Noch-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und Söder vorgezeichnete Marschroute – erst wird der CDU-Vorsitzende bestimmt, dann der Kanzlerkandidat – nicht einhalten. Die Delegierten des CDU-Parteitags Anfang Dezember werden wissen wollen, ob der neue Vorsitzende auf dem quasi natürlichen Anspruch der CDU auf die Kanzlerkandidatur beharrt. Gleichzeitig kann kein Röttgen (und auch kein Spahn) mit der Parole antreten, jede Stimme für ihn sei auch eine Stimme für den künftigen Kanzler Söder, solange dieser nicht verbindlich zeigt, dass er wirklich will. Schließlich hat Söder bei der Bundestagswahl 2002 aus nächster Nähe erlebt, wie der damalige CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber scheiterte – den anfänglich sehr guten Umfragewerten zum Trotz. Die CDU sitzt in der Falle: Sie allein kann ihren Vorsitzenden, aber nicht auch den Kanzlerkandidaten bestimmen. AKK hatte das bei ihrer überraschenden Rücktrittsankündigung anders geplant: Ihr Nachfolger in der Partei sollte erst im Dezember gewählt werden. Jedoch ging sie von der falschen Voraussetzung aus, die möglichen Bewerber würden sich recht bald darauf einigen, wer antritt. Der designierte neue Parteichef hätte dann Zeit gehabt, mit der CSU die K-Frage rechtzeitig zu klären. Doch es kam anders: Gleich drei Bewerber stiegen in den Ring, bereit zum letzten Gefecht. Überdies ließ Söder – dank seines Corona-Managements – in den Umfragen Merz, Laschet und Röttgen weit hinter sich. Und plötzlich hatten Laschet und Merz einen neuen potentiellen Konkurrenten.

In dieser verworrenen Situation gibt es eigentlich nur einen verläßlichen Kompass: den Pragmatismus der Union. Während Sozialdemokraten leidenschaftlich um die wahre ideologische Auslegung des letzten programmatischen Spiegelstrichs streiten, denken die Unionisten in einer ganz anderen Kategorie, nämlich in der der Macht. Der beste Kandidat ist der, der am Wahltag die größte Beute, sprich: Mandate, verspricht. Deshalb ließ die CDU 2002 ihre Vorsitzende Angela Merkel fallen und lief zu Stoiber über. Aus demselben Grund liebäugeln viele CDU-Politiker, vor allem aus der Bundestagsfraktion, mit Söder, weil ihnen das eigene Mandat näher ist als die Frage der Über- und Unterordnung zwischen den beiden Schwesterparteien. Diesem Kalkül entspricht auch die kursierende Wunschkonstellation mit Spahn als Vorsitzendem und Söder als Kanzler.

Söders leere Drohung mit dem Veto-Recht der CSU

Für Söder spricht, dass Laschet in der Corona-Krise teilweise höchst unglücklich agiert hat, Merz das Geschehen seit Monaten nur noch von der Seitenlinie aus kommentieren kann und Röttgen in Partei und Fraktion keine nennenswerten Anhänger hat. Doch Söder muss vor dem Parteitag sagen, ob er will und mit wem er will. Unterläßt er dies, wählen die CDU-Delegierten im Dezember mit dem Vorsitzenden zugleich auch den Kanzlerkandidaten. Mit dem von ihm beanspruchten Veto-Recht könnte der CSU-Chef nachträglich nicht viel anfangen. Wollte er es tatsächlich ausüben, stünden CDU und CSU dann zum zweiten Mal nach 2018 vor einer möglichen Spaltung - und einem ähnlich tiefen Sturz in der Wählergunst wie damals.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 28. Juli 2020)


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