12.07.2020

Ein Kanzlerkandidat Söder schleppte weiß-blauen Ballast mit sich

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt weiß, was ein Kanzlerkandidat der Union mitbringen muss: „Kompetenz, Zustimmung und Chance.“ Soll heißen: Er muss regieren können, auf Zustimmung in der Partei wie in der Bevölkerung stoßen und eine realistische Chance haben, die CDU/CSU 2021 zu einem so guten Wahlergebnis zu führen, dass gegen sie nicht regiert werden kann.

Obwohl Dobrindt es nicht offen ausspricht, dass sein Parteivorsitzender Markus Söder diese Kriterien seiner Meinung nach hundertprozentig erfüllt, ist seine Botschaft dennoch unmissverständlich: Der bayerische Ministerpräsident soll Kanzlerkandidat und Kanzler werden. Schließlich regiert Söder den Freistaat durchaus mit Erfolg, trifft als Corona-Krisenmanager innerhalb und außerhalb der weiß-blauen Grenzen auf mehr Zustimmung als die potentiellen Unions-Kandidaten Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn und Norbert Röttgen und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die CDU/CSU bei der Sonntagsfrage gut zehn Prozentpunkte über den mageren 27 Prozent von Januar und Februar dieses Jahres liegt. Wäre da „Auf Markus Söder kommt es an“ nicht die naheliegende Parole?

So lässt sich argumentieren – und nicht wenige in der CSU tun das. Söder selbst betont ständig, sein Platz sei in Bayern. Doch er denkt nicht daran, alle Spekulationen mit einem klaren Statement zu beenden. Erstens schmeichelt es ihm, in den Umfragen besser dazustehen als die CDU-Bewerber. Und zweitens ist er ein gewiefter Machtpolitiker, der sich einen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur sicher teuer bezahlen ließe – mit Zugeständnissen der CDU im gemeinsamen Wahlprogramm und Zusagen für eine entsprechende Vertretung der CSU im neuen Kabinett.

Vielleicht erkennt Söder aber auch, dass ein CSU-Kandidat, wenn es erst einmal ernst wird, nördlich des Mains nicht mehr die besten Chancen hat. Auch wenn der Wahlkampf 2021 völlig anders verlaufen wird als die Wahlschlachten 1980 und 2002: Schon Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber mussten die bittere Erfahrung machen, dass man als Bayer außerhalb Bayerns keine „gmahde wiesn“ vorfindet, sondern sich politisch eher auf einem Stoppelacker bewegen muss.

Bayern stößt im Rest Deutschlands auf Vorbehalte

Die Deutschen lieben die bayerischen Berge und Seen, machen dort gerne Urlaub, wissen das kulturelle Angebot zu schätzen. Sie werfen sich inzwischen selbst im hohen Norden in Lederhose und Dirndl, wenn sie das Münchener Oktoberfest auf dem Dorfplatz zu imitieren versuchen. Schließlich zieht es nicht wenige „Nordlichter“ und „Ossis“ zu den in Bayern angesiedelten attraktiven Arbeitsplätzen. Bayern ist ein ausgewiesenes Einwanderungsland für Fachkräfte mit deutschem Pass.

Gleichwohl stoßen die Bayern im Allgemeinen und die CSU im Besonderen im Rest des Landes auf Vorbehalte. Die Bayern mit ihren Schützen- und Trachtenvereinen gelten irgendwie als exotisch, bisweilen sogar als hinterwäldlerisch. Insbesondere die CSU gilt als rückständig, obwohl sie in Bayern seit Jahrzehnten eine moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik betreibt und den Wandel vom Agrar- zum Industrieland allemal besser bewerkstelligt hat als Nordrhein-Westfalen den Abschied von Kohle und Stahl.

Der Klassenprimus ist selten beliebt

Bayern braucht bei der Wirtschaftskraft, der Staatsverschuldung, der Beschäftigung oder der Bildung keinen Vergleich mit anderen Bundesländern zu scheuen. Doch es kommt außerhalb der eigenen Grenzen nicht gut an, wenn CSU-Politiker immer gerne darauf verweisen, dass ihr Land ungleich besser dastehe als die anderen Länder und obendrein über den Länderfinanzausgleich noch die sozialdemokratisch, also schlecht regierten Ländern finanziell unterstützen müsse. Das wirkt jenseits des Weißwurst-Äquators oft überheblich und schafft keine Sympathien. Der Klassenprimus ist selten beliebt.

Jeder Kanzlerkandidat von der CSU hatte und hat noch mit einem anderen Malus zu kämpfen: Die Mainstreammedien, allen voran die öffentlich-rechtlichen Anstalten, karikieren die CSU meist als erzkonservative, völlig aus der Zeit gefallene Partei, die Deutschland am liebsten zurück in die 1950er-Jahre führen würde. Das sehen die von der CSU seit Jahrzehnten insgesamt sehr gut regierten bayerischen Wählerinnen und Wähler sicher nicht so, das glauben sogar die meisten Medien- und Meinungsmacher wohl selbst nicht mehr. Aber das Klischee von der rückständigen, aus der Zeit gefallenen bayerischen Union hat sich so verfestigt und verselbständigt, dass es auch für den Kanzlerkandidaten Söder zum Ballast würde. Dagegen helfen kein Bäume-Umarmen und keine Bienen-Rettung.

Alexander Dobrindt, Söders Statthalter im fernen Berlin, hat völlig Recht: Jeder Kanzlerkandidat braucht „Kompetenz, Zustimmung und Chance.“ Doch bei den Wahlchancen hat jeder CSU-Kandidat schlechte Karten – selbst der aktuelle Umfragekönig Söder.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 12. Juli 2020)


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