23.01.2020

SPD gegen Sarrazin: Ein juristischer Sieg, kein politischer

Thilo Sarrazin und die SPD – eine unendliche Streitgeschichte. Offenbar hat das Parteischiedsgericht des Berliner Landesverbands den angriffslustigen Ex-Senator und Ex-Bundesbank-Vorstand im dritten Anlauf aus der Partei ausgeschlossen. Doch damit ist die Auseinandersetzung dieses rechten Sozialdemokraten mit seiner immer weiter nach links abdriftenden Partei noch lange nicht beendet. Der streitbare Bestseller-Autor dürfte auch dieses Mal das Bundesschiedsgericht anrufen und gegebenenfalls den ordentlichen Gerichtsweg einschlagen. Denn eines weiß Sarrazin: Jedes weitere Kapitel in dieser erbitterten Auseinandersetzung erfreut seine ganz weit rechts stehenden Fans und Leser, sorgt für Publicity, zieht Einladungen zu sehr gut dotierten Auftritten und noch höhere Buch-Auflagen nach sich.

Parteien – Volksparteien allzumal – wollen ein breites Spektrum an Meinungen abbilden. Deshalb müssen sie abweichende Ansichten aushalten. Die SPD hätte wohl nicht so viele Wähler an die AfD verloren, wenn sie Sarrazins Bedenken gegen eine unkontrollierte Zuwanderung ernst genommen hätte. Der besserwisserisch auftretende Noch-Sozialdemokrat hat jedoch mit seinem genetischen Geschwurbel, seinem Paktieren mit AfD-nahen Aktivisten bis hin zu Rechtsradikalen sowie seiner Lust, die eigene Partei ständig zu kritisieren und zu provozieren, sich mehr Freiheiten herausgenommen, als eine auf Selbstachtung Wert legende Organisation hinnehmen kann. Dass er in seinem jüngsten Buch „Feindliche Übernahme“ ein Zerrbild des Islams und der Geschichte muslimisch geprägter Gesellschaften zeichnet und obendrein im Europawahlkampf bei der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich auftrat, hat das Landesschiedsgericht offenbar zusätzliche Munition gegen den Störenfried geliefert.

Es ist bereits das dritte Verfahren gegen Sarrazin. Beim ersten Mal wies das Berliner Parteigericht den Ausschlussantrag ab. Der zweite Versuch endete so, dass Sarrazin sich verpflichtete, sich künftig an die Grundsätze seiner Partei zu halten. Jetzt ist das Parteigericht offenbar zu dem Schluss gekommen, dass er genau das nicht getan habe: „Genug ist genug.“

Wie immer die Streitsache „SPD gegen Sarrazin“ weiter gehen mag: Ein Ausschluss Sarrazins wird der SPD außerhalb des linken Spektrums keine Sympathiepunkte einbringen. Im Gegenteil: In Sarrazins Rauswurf dürften vor allem die von der SPD enttäuschten „kleinen Leute“ einen Beleg dafür sehen, dass die Sozialdemokraten gerade unter dem neuen Führungsduo Esken/ Walter-Borjans (mit dem Jusovorsitzenden Kühnert als Taktgeber) lieber dem Traum einer multikulturellen Idylle anhängen als die Sorgen derer ernst zu nehmen, die – ob begründet oder nicht – in den Zuwanderern vor allem Konkurrenten um Jobs , Wohnungen und Sozialleistungen sehen.

Eines ist klar: Das Wiederaufflammen der Auseinandersetzung um Sarrazin macht es der SPD noch schwerer, solche Wähler zurückzugewinnen, die zur AfD oder ins Lager der Nichtwähler abgewandert sind. Gut möglich, dass der SPD-Parteivorstand sich juristisch auf der Siegerstraße befindet; die politischen Probleme der Partei wird ein Rauswurf Sarrazins aber nicht lösen.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 23. Januar 2020


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