24.04.2019

Komiker als Politiker: „Das ist ein Misstrauensvotum gegenüber dem System“

Hugo Müller-Vogg im Gespräch mit Stefan Heinlein

Stefan Heinlein: Über den Wahlerfolg des Komikers Selenskyj in der Ukraine und die möglichen Folgen dieser Entwicklung für die Politik, nicht nur in Kiew, sondern in Europa insgesamt, möchte ich jetzt reden mit dem Publizisten und ehemaligen „FAZ“-Mitherausgeber Hugo Müller-Vogg. Guten Tag, ich grüße Sie!

Hugo Müller-Vogg: Guten Tag, Herr Heinlein!

Heinlein: Ein Komiker als Präsident – ist das ein guter Witz, oder bleibt Ihnen da das Lachen im Halse stecken?

Müller-Vogg: Da bin ich etwas gemischt in meinen Gefühlen. Ich glaube, wenn solche Leute, solche absoluten Außenseiter in der Politik plötzlich ganz nach vorne durchkommen, ist es immer zunächst einmal ein Zeichen, dass das Land in einer tiefen Krise steckt. In einem Land, wo es den Leuten gut geht, und wo man Vertrauen hat ins politische System, kommt so jemand nicht von null auf hundert innerhalb kürzester Zeit. Das spricht schon dafür, dass in dem Land einiges nicht stimmt. Seine Wahl ist natürlich ein Misstrauensvotum gegen die dort an der Macht befindlichen Parteien und auch eine Aufforderung, die Korruption zu bekämpfen, obwohl man bei ihm persönlich Zweifel haben muss, denn seine Verbindungen zu dem einen Oligarchen, die sind ja etwas dubios, und er hat sich ja dazu auch nicht geäußert.

„Menschen mögen auch in der Politik gute Laune“

Heinlein: Sehnen sich die Leute, die Ukrainer, also nach guter Laune, gerade in schwierigen Zeiten?

Müller-Vogg: Ich glaube, generell mögen die Menschen durchaus auch in der Politik gute Laune. Sie schätzen nicht Politiker, die verbissen aufeinander losgehen, und die sich sozusagen mit allen Mitteln bekämpfen. Jemand – Sie sehen das ja auch bei sogenannten etablierten Politikern –, jemand, der es schafft, schlagfertig zu sein und ab und zu einen Witz unterzubringen oder humorvolle Bemerkungen, der kommt immer besser weg. Das war ja beispielsweise auch die Stärke von Gerhard Schröder, der in Diskussionen immer zu einem Scherz bereit war, was die Leute für ihn eingenommen hat. Das Leben ist teilweise hart genug, und dann muss man ab und zu auch mal lachen, und wenn Politiker einen zum Lachen bringen, ist das generell schon von Vorteil.

Heinlein: Selenskyj, Herr Müller-Vogg, ist ja nicht allein in Europa und in der Welt, auch in anderen Ländern werden und wurden Komiker und Schauspieler in wichtige politische Ämter gewählt, etwa in Italien – Grillo, auch ein Komiker. Ist das ein Trend in der Politik, der noch zunehmen wird?

Müller-Vogg: Das weiß ich nicht, aber sicher ist – das Beispiel Italien zeigt das ja auch –, auch dort hatten die Parteien, die das Land jahrzehntelang geprägt hatten, total abgewirtschaftet, die Leute befanden sich in einer Krise. Und dann gibt es, glaube ich, bei der Bevölkerung einen Punkt, wo man sagt, die da dran sind, die müssen weg, und jeder, der da kandidiert, ist besser als die, die bisher dran waren. Dann haben auch so Leute eine Chance. Auch Grillo war natürlich ein Fall wie jetzt in der Ukraine. Er war sehr bekannt durch seine Fernsehauftritte, und so Leute haben natürlich auch noch einen weiteren Vorteil: Sie sind natürlich medienerfahren, sind schlagfertig und wissen, wie man ein Publikum nehmen muss.

„Schauspieler und Komiker sind nicht per se dumm“

Heinlein: Ein guter Witz kommt an beim Wähler, ein guter Spruch, das bringt Stimmen, haben Sie gesagt. Wie sehr ist denn mit diesen Komikern in der Politik zu spaßen, oder sind Sie eine Gefahr für unsere Demokratie, für die Stabilität unseres politischen Systems in der Ukraine und in anderen Ländern?

Müller-Vogg: Ich halte es für ein bedenkliches Zeichen, wenn die Leute sagen, da ist jemand, der ist zwar ganz lustig, der hat schon mal einen Präsidenten gespielt, aber er hat keine politische Erfahrung, aber wir vertrauen den anderen Figuren, die da rumlaufen, überhaupt nicht. Wir nehmen lieber den, als einen von den anderen, auch wenn ihm wichtige Voraussetzungen fehlen. Das ist ein Misstrauensvotum gegenüber den vorhandenen Parteien und auch gegenüber dem System.

Heinlein: Nun war in den USA mit – nehmen wir ihn als Beispiel –, mit Ronald Reagan ein bekannter ehemaliger Hollywood-Schauspieler ja durchaus ein erfolgreicher Präsident, zumindest in der Rückschau. Können Schauspieler, können Komiker auch Politik?

Müller-Vogg: Ja, Schauspieler und Komiker sind ja nicht per se dumm. Die sind ja auch teilweise intelligente Leute, wobei bei Ronald Reagan war die Situation eine andere. Er war vorher acht Jahre Gouverneur in Kalifornien gewesen. Der Mann hatte also durchaus politische Erfahrungen. Der kam nicht sozusagen direkt vom Set ins Weiße Haus. Aber generell, warum sollen Schauspieler das nicht können. Es hängt natürlich auch immer vom Wahlsystem ab. Wenn Sie Direktwahlen haben, wie jetzt in der Ukraine oder wie in Amerika, dann ist es auch einfacher, für Leute, die nicht aus dem politischen Establishment kommen, da einen Durchmarsch zu machen, als wenn sie repräsentative Systeme haben, wo sie eine Partei hinter sich brauchen, um überhaupt eine Chance zu haben.

Heinlein: Ist das auch der Grund, warum Spaßpolitiker, Spaßparteien bei uns es in Deutschland so viel schwieriger haben als etwa in Italien oder der Ukraine?

Müller-Vogg: Also zunächst mal sehe ich bei uns keine Spaßpartei mit einem im ganzen Land sehr bekannten, populären Spaßvogel an der Spitze. Wir haben ja „Die Partei“, Martin Sonneborn, die im Europaparlament vertreten ist mit 0,6 Prozent der Stimmen bei der letzten Wahl. Das ist eine überschaubare Zahl an Wählern. Das sagt aber auch – und ich glaube, das ist nicht charakteristisch für Deutschland –, es gibt überall in jeder Gesellschaft Leute, die versuchen, aus allem ein Happening zu machen, und die machen dann auch aus einer Wahl ein Happening und geben ihre Stimme weg für den Spaß, den sie dann ein paar Tage hatten, dass sie gesagt haben, wir haben einen gewählt, der die anderen ärgert.

„Es kann nicht schaden, wenn man in der Politik locker auftritt“

Heinlein: Dann versuchen wir mal ein Gedankenspiel. Wenn jetzt Oli Welke, Stefan Raab oder Hape Kerkeling gemeinsam mit der Spaßpartei von Martin Sonneborn in die Politik gehen, sie beginnen heute ihren Europawahlkampf, würden sie dann deutlich mehr bekommen als diese 0,6 Prozent, weil Wahl für viele Menschen ja durchaus eine Personenwahl ist?

Müller-Vogg: Ja, vielleicht bekämen sie dann zwei oder drei Prozent, aber generell habe ich nicht den Eindruck, dass die Menschen in Deutschland mit der politischen Klasse und mit den Parteien so fertig sind, dass sie sagen, also es ist eh alles verloren, ist eh‘ alles zu spät, wir wählen irgendeinen Scherzkeks, um die anderen zu ärgern.

Heinlein: Also wir Deutschen sind politisch eher spaßbefreit.

Müller-Vogg: Nicht spaßbefreit, aber teilweise verantwortungsbewusster.

Heinlein: Wie sollten denn die anderen Parteien, Regierungen und Oppositionen, das ist eigentlich egal, reagieren auf diese Herausforderungen der Spaßparteien?

Müller-Vogg: Das beste politische Rezept ist immer, eine gute Politik zu machen.

Heinlein: Aber die Politik lockerer zu verkaufen, das wäre auch ein Weg an Wählerschichten heranzubekommen, die jetzt vielleicht ihr Kreuz, auch wenn es nur 0,6 Prozent sind, bei der Spaßpartei machen?

Müller-Vogg: Also wenn die Parteien sich auf einen Wettbewerb einlassen mit Leuten wie Sonneborn, ich glaube, dann verlieren die etablierten Parteien mehr als sie gewinnen können. Trotzdem kann es nicht schaden, wenn man in der Politik locker auftritt oder auch ab und zu mal einen Scherz macht. Das kommt bei den Leuten besser an, als wenn man nur verbiestert den Weltuntergang beschwört.


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