08.03.2019

Das rot-rot-grüne Berlin hat endlich die DDR überholt

„Überholen, ohne einzuholen.“ Nach dieser Maxime wollte die DDR „dem gegenwärtigen Welthöchststand nicht auf bereits mehr oder weniger bekannten Wegen nacheilen, um ihn zu erreichen. Vielmehr wollen wir, gewissermaßen an ihm vorbei, (…) einen neuen Höchststand bestimmen." Ökonomisch hat das bekanntlich nicht geklappt. Aber auch gesellschaftspolitisch war der SED-Staat nicht auf Welthöchststand. Mochten andere kommunistische und sozialistische Länder den „Internationalen Frauentag“ 8. März als gesetzlichen Feiertag begehen, so mussten Frauen in der DDR erst arbeiten, ehe es eine betriebliche Feierstunde mit ein paar warmen Worten des Genossen Betriebsleiter gab. Die Produktion ging vor.

Nur gut, dass Erich Honecker nicht mehr erleben muss, wie ausgerechnet das Land Berlin am 8. März 2019 die DDR überholt. In diesem Jahr ist der „Frauentag“ in Berlin zum ersten Mal gesetzlicher Feiertag. Das ist zweifellos ein neuer Höchststand, jedenfalls in der westlichen Welt. Im Übrigen erreicht Berlin, um es im DDR-Jargon zu formulieren, mit seinem neuen Feiertag „Weltniveau“. Schließlich befindet es sich jetzt feiertagspolitisch auf Augenhöhe mit Russland und Ländern wie Angola, Armenien, Burkina Faso, Eritrea, Georgien, Kuba, Mongolei, Nordkorea, Vietnam oder Weißrussland. Bei allem, was Berlin von diesen Ländern trennen mag, gibt es doch eine Gemeinsamkeit: Ökonomisch sind alle diese Frauentag-Nationen vom Welthöchststand weit entfernt.

Das rot-rot-grün regierte Berlin beschert seinen Einwohnern jedweden Geschlechts einen arbeitsfreien Tag, um damit etwas für die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frau zu tun. Doch wird die Stadt am Freitag nicht auf einer feministischen Woge ins verlängerte Wochenende schweben. Denn der Senat hat keine Kundgebungen oder sonstigen Termine zu Ehren der Frau an sich geplant. Irgendwie vertraut man wohl darauf, dass die Idee der Emanzipation den großen Durchbruch erzielt, wenn die berufstätigen Frauen nicht am Schreibtisch sitzen oder hinter einer Ladentheke stehen, sondern zu Hause ihren Lieben ein Feiertagsmenü zubereiten. Dafür geht das „Bündnis Frauenkampftag“ auf die Straße, in dem die üblichen Verdächtigen – Linke, Gewerkschaften, Grüne, Vorkämpfer für sexuelle Selbstbestimmung, Anti-Rassisten – den Frauentag zum Kampftag für linke Politik machen. Für sie ist die Forderung nach Gleichberechtigung nur ein Vehikel für ihren Kampf für eine andere Republik: „Gleichberechtigung ist notwendig – wir wollen aber noch mehr. Deshalb kritisieren wir patriarchale Strukturen, eine an Profitmaximierung orientierte Gesellschaft, ebenso wie die Ideologie, nach der jede Person ihres eigenen Glückes Schmiedin sei. Wir wollen ein Leben ohne Angst, ohne Ausbeutung und Unterdrückung.“ Den Berlinern sei der zusätzliche Feiertag gegönnt; sie liegen in der Feiertagsliga ohnehin ganz hinten. Dass mehr gesetzliche Feiertage nicht automatisch Produktivität und Inlandsprodukt senken, zeigt das Beispiel Bayern. Dort gönnt man sich nicht nur die meisten Feiertage, sondern bringt wirtschaftlich zugleich deutlich mehr zustande als andere Bundesländer. Da drängt sich der Umkehrschluss auf: Selbst wenn Berlin von seinen wenigen Feiertagen noch den einen oder anderen streichen würde, würde der neue Flughafen nicht schneller fertig und aus dem mit jährlich mehr als vier Milliarden Euro über den Länderfinanzausgleich subventionierten Stadtstaat mit den meisten Hartz IV-Empfängern keine Boom-Town.

Dass Berlin auf den Spuren der DDR und im Geist vereint mit sozialistischen Schwesterländern – der Begriff Bruderländer passt hier wohl nicht – die Frauen hochleben lässt, ist symptomatisch für das geänderte Frauenbild. Es ging der DDR und es geht dem rot-rot-grünen Senat nur um einen Typ Frau: die berufstätige Frau, in der DDR einst als Werktätige besungen. Frauen, die nichts zur Steigerung des Sozialprodukts beitragen, weil sie "nur" Kinder erziehen oder "nur" Alte in der Familie pflegen, sind keiner Erwähnung wert. Aus der Sicht feministischer, sozialistischer und gutmenschlicher Frauenversteher*innen sind diese Frauen schlicht nicht viel wert.

So hatte einst die DDR-Führung gedacht, weil jede Frauenhand gebraucht wurde, um den kapitalistischen Westen bei der Produktion "einzuholen ohne zu überholen". Dieselbe materialistische beziehungsweise kapitalistische Sichtweise prägte schon bisher den „Frauenkampftag“, den Gewerkschafterinnen, linke Politikerinnen und kampfbereite Feministinnen nach der Wende auch in der alten Bundesrepublik in kleinen Schritten etablierten. Dass Berlin aus einem Tag der großen Worte, schrillen Parolen und Halstüchern in Milka-Lila nunmehr einen arbeitsfreien Tag gemacht hat, wird Nachahmer finden. Denn nichts ist hierzulande populärer als zusätzliche, bezahlte Freizeit.

Die rot-rot-grünen Frauenbeglücker hatten freilich nicht bedacht, dass der neue, politisch überaus korrekte Feiertag zu neuer Diskriminierung von Frauen führt. In Unternehmen mit Betrieben oder Niederlassungen sowohl in Berlin als auch in anderen Bundesländern hat die Berliner Belegschaft künftig an jedem 8. März frei, die Kolleginnen und Kollegen an Standorten in München oder Hamburg müssen dagegen arbeiten. Besonders deutlich wird dieses schreiende Unrecht in den Bundesministerien mit doppeltem Dienstsitz in Bonn und Berlin. In der ehemaligen Hauptstadt wird am 8. März gearbeitet, in der neuen dagegen nicht. So ungerecht kann die Welt sein.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 8. März 2019.


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