15.03.2018

Der Ruf der GroKo ist schlechter als ihre Erfolgsaussichten

Als die Deutschen am Donnerstagmorgen aufwachten, hatten sie nach 172 Tagen wieder eine „richtige“ Regierung. Aber die Staus im Berufsverkehr waren nicht kleiner als sonst, die Verspätungen der Bahn auch nicht. Auch wenn nach landläufiger Meinung das Land unter einer „nur“ geschäftsführenden Regierung nicht so recht funktioniert haben soll: Wir wurden in dieser Zeit sicherlich nicht schlechter regiert als mancher südliche oder nördliche Nachbar von seiner „richtigen“ Regierung.

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Angela Merkel bleibt also Kanzlerin, zum Erstaunen aller, die ihr bei der ersten Wahl 2005 maximal acht Jahre gegeben hatten. All die Merkel-Experten, die an der Jahreswende 2016/2017 genau gewusst hatten, Merkel werde nicht noch einmal antreten, flüchten sich in neue Prognosen über das nahende Ende der „ewigen Kanzlerin“. Die GroKo werde nicht bis 2021 halten, raunen die Auguren - und Merkel schon gar nicht.

Als Beleg für diese These gilt das schlechte Abschneiden Merkels bei der Kanzlerwahl - nur 364 von potentiell 399 schwarz-roten Stimmen. Nun ja, Merkel bekam nur gut 91 Prozent der möglichen Stimmen. Das war knapp ein Prozentpunkt weniger, als Merkel 2013 von den roten und schwarzen Abgeordneten erhalten hatte. Wie war das nochmals bei Merkels erster GroKo im Jahr 2005? Da wurde sie „nur“ von 89 Prozent der Koalitionäre gewählt. Also: Drastische Einbrüche bei der Zustimmung sehen anders aus.

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Überglücklich kommentierte FDP-Chef Christian Lindner das Wahlergebnis: Es habe „enorme Fliehkräfte entlarvt“. Seine Prognose: Nach diesem schlechten Start werde die GroKo „mit schlechter Laune“ regieren. Da schauen wir doch ins Jahr 2009 zurück, als Schwarz-Gelb eine Mehrheit hatte. Damals stimmten 97 Prozent der Abgeordneten von Union und FDP für die Kanzlerin. Aber das sagte rein gar nichts über die Fliehkräfte innerhalb des Bündnisses. Im Gegenteil: Schnell folgte die Zeit der ständigen Koalitionskräche, der gegenseitigen „Gurkentruppe“- und „Wildsäue“-Vorwürfe der bürgerlichen Wunschpartner untereinander. Gemessen an „guten“ und „schlechten“ Kanzlerwahl-Ergebnissen scheint die GroKo also rosigen Zeiten entgegenzugehen.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem GroKo-Kabinett nach Überreichung der Ernennungsurkunden mit pastoralem Unterton ins Gewissen geredet. Das neue Bündnis dürfe kein „Aufguss des Alten“ sein, warnte er. Und forderte die Regierenden auf, „Vertrauen zurückzugewinnen.“ Da fragt man sich, wer eigentlich zwischen 2013 und 2017 mitverantwortlich war für das ach so schreckliche „Alte“ und für den Vertrauensverlust? Oder ist bei der alten GroKo erst alles schief gelaufen, nachdem Steinmeier im März letzten Jahres vom Auswärtigen Amt ins Schloss Bellevue gewechselt war? Er mag das ja glauben, dürfte diese Einschätzung aber ziemlich exklusiv haben. Ja, ein Präsident soll mahnen und motivieren. Aber glaubwürdig sollte er auch sein.

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Jetzt also: Merkel-GroKo, zum dritten! Die Kommentatoren vermissen den „großen Wurf“, rufen nach „Erneuerung“ und „Aufbruch“ - und befürchten nach dem vermeintlichen „Holperstart“ das Schlimmste. Nun hilft es ja nichts, der vertanen Chance einer schwarz-gelb-grünen Reform-Koalition nachzutrauern. CDU/CSU und SPD haben sich zusammengerauft, weil andere nicht regieren wollten. Und weil sie sich bewusst sind, dass es besser ist, mit Kompromissen zu regieren als gar nicht zu regieren.

Die Erwartungen an die vierte Regierung Merkel sind so niedrig, dass sie diese eigentlich nur übertreffen kann. Die Menschen neigen dazu, Regierungshandeln danach zu beurteilen, ob und inwieweit es ihr Leben positiv beeinflusst. Wenn es Schwarz-Rot gelänge, die Wirtschaft am Laufen zu halten, bei der Zuwanderung dem Gesetz wieder zu seinem Recht zu verhelfen, die Infrastruktur spürbar zu modernisieren und den Wohnungsbau in den Ballungsgebieten nachhaltig anzukurbeln, ließe sich das nicht hochtrabend als „Projekt“ verkaufen. Aber die Bürger dürften das - anders als die meisten Leitartikler - als Schritte in die richtige Richtung betrachten.

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Max Webers Definition der Politik als das „Bohren dicker Bretter“ mit „Leidenschaft und Augenmaß“ ist in Zeiten eines neuen, vielfältigeren Parteiensystems aktueller denn je. Auch mancher Publizist könnte das zum Maßstab seiner Urteile nehmen.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 15.März 2018.


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