08.03.2018

SPD-Netzwerker empfehlen: „Sei Du selbst die Erneuerung“

Erneuerung ist das Wort der Saison, jedenfalls bei den Sozialdemokraten. Sie wollen sich erneuern, sie glauben sich erneuern zu müssen. Das führt zu einer regelrechten Erneuerungspflicht. Wer bei der SPD auf sich hält, denkt laut über Erneuerung nach – von der Parteispitze bis hinunter zum kleinen Ortsverein. Das bleibt nicht ohne Folgen. Gibt man bei Google die Stichworte „SPD erneuern“ und „SPD Erneuerung“ ein, findet man Verweise auf 536.000 und 582.000 Beiträge zu diesem Thema. Nach dem Katzenjammer der Genossen im Anschluss an das katastrophale Wahlergebnis samt den folgenden Irrungen und Wirrungen ist jetzt Euphorie angesagt: Erneuerungseuphorie.

Wenn keiner weiß, was Erneuerung so genau bedeutet und wie eine erneuerte SPD aussehen soll, hat jeder die Chance, seinen Beitrag dazu zu leisten. Davon macht auch das „Netzwerk Berlin“ Gebrauch, ein Zusammenschluss von SPD-Bundestagsabgeordneten, der „gesäßpolitisch“ in der Mitte zwischen der „Parlamentarischen Linken“ und dem eher rechten „Seeheimer Kreis“ anzusiedeln ist. Die Netzwerker haben jetzt „20 Thesen für die Erneuerung der SPD“ vorgelegt. Wenn diese Thesen etwas zeigen, dann das: Von Erneuerung zu reden ist leichter, als dieses Ziel klar zu definieren.

So liefern die Damen und Herren Abgeordneten, die sich als Reformer verstehen, eine Sammlung ziemlich wolkiger und banaler Vorschläge. Das beginnt schon bei These eins, wonach Erneuerung bedeutet, „nach vorne schauen und aus der Vergangenheit lernen.“ Nun gut, auch wer sich nicht erneuern will, tut gut daran, nach vorne zu schauen. Und man kann sogar zu dem Ergebnis kommen, nichts zu ändern, weil man aus der Vergangenheit gelernt hat.

Aber so eng darf man das wahrscheinlich nicht beurteilen. Wenn der Erneuerungs-Weg das Ziel schlechthin ist, kommt es auf einige Worthülsen mehr oder weniger nicht an. Dann ist auch Geschwurbel wie „Erneuerung heißt gute und gleiche Chancen für alle Generationen“ erlaubt. Wobei man besser nicht danach fragen sollte, ob wirklich alle Generationen die gleichen Chancen haben können.

Die Netzwerker sind von ihrem Erneuerungswillen so beseelt, dass sie schon fast ins pseudoreligiöse abgleiten. Den Höhepunkt ihrer Erneuerungs-Litanei bildet These Nummer 20: „Erneuerung heißt: Sei Du selbst die Erneuerung, die Du Dir wünschst!“ Da hört man Glocken läuten und Harfen erklingen und sieht die Regalmeter Bücher vor sich, in deren Titel „Sei Du selbst“ auf zig-fache Weise variiert wird. Sich erneuern und sich selbst sein – kann es etwas Schöneres geben?

Angesichts der hehren These 20 wagt man kaum, einen eigenen – zugegeben profanen – Vorschlag als zusätzliche These 21 zu machen: „Erneuerung ist, wenn Andrea Nahles bei ihren Fernsauftritten nicht nach jedem zweiten Satz vor sich hin gluckst wie ein Kind, das sein Glück über den Inhalt seines Überraschungs-Eis nicht fassen kann.“ Aber das geht ja nicht, das wäre zu nahe dran am echten Erneuerungsbedarf der SPD.

Nein, dies ist keine Satire. Die „20 Thesen für die Erneuerung der SPD“ der Netzwerker gibt es wirklich. Hier werden sie dokumentiert:

„1. Erneuerung heißt nach vorne schauen und aus der Vergangenheit lernen.

2. Erneuerung heißt Lust auf Zukunft, Lust auf neue Themen, heißt Offenheit für neue Ideen. Erneuerung heißt, auch einmal etwas auszuprobieren, zu experimentieren, aus Fehlern zu lernen.

3. Erneuerung heißt, Orientierung zu geben und deutlich zu machen, welche Gesellschaft wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen.

4. Erneuerung heißt, offene Fragen zu klären, anstatt Formelkompromisse zu formulieren.

5. Erneuerung heißt eine klare Haltung zu Europa: Der demokratische Sozialismus kann nur europäisch sein.

6. Erneuerung heißt, dafür zu sorgen, dass der Sozialstaat als Dienst von Mensch zu Mensch gelebt wird.

7. Erneuerung heißt, den digitalen Wandel für die Menschen zu nutzen und dafür zu sorgen, dass aus technischem Fortschritt sozialer und ökologischer Fortschritt entsteht.

8. Erneuerung heißt gute und gleiche Chancen für alle Generationen.

9. Erneuerung heißt, die Globalisierung zu gestalten und mehr Verantwortung zu übernehmen in einer Welt, die immer mehr zusammenrückt und voneinander abhängig ist.

10. Erneuerung heißt, die Demokratie fit zu machen für das 21. Jahrhundert, das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen neu zu begründen und unseren freiheitlichen Lebensstil zu pflegen.

11. Erneuerung heißt ein gut funktionierender Staat, der die Menschen stärkt und zu einem eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Leben befähigt.

12. Erneuerung heißt Werteorientierung: In einer sozial und kulturell auseinanderdriftenden Gesellschaft muss die Volkspartei SPD für einen breit anerkannten Werterahmen sorgen.

13. Erneuerung verlangt eine andere Sprache. Erneuerung heißt, von den Lebenslagen der Menschen her zu denken und zu formulieren, statt von unseren gewohnten Überschriften her.

14. Erneuerung heißt klare Haltung für sozialdemokratische Positionen auch in Koalitionen, heißt auch Reibung und Konflikte, wenn es um die Verbesserung der Lebensrealität vieler Menschen geht.

15. Erneuerung heißt, sich Ziele zu setzen und gemeinsam auf diese hinzuarbeiten.

16. Erneuerung heißt Teamarbeit auf allen Ebenen der Partei. Erneuerung heißt,

Konfliktlösungsmechanismen zu entwickeln, damit nicht immer alles über die Medien läuft. 17. Erneuerung heißt Mut zu neuem und jüngerem Personal und mehr Frauen in zentralen Positionen, heißt Mut auch zu überraschenden Personalentscheidungen, heißt mehr auf Qualität und Wirkung achten, statt auf Proporz.

18. Erneuerung heißt, dass die Gesamtpartei als Volkspartei Ort der gemeinsamen Diskussionen ist.

19. Erneuerung gelingt, wenn wir gute Beziehungen aufbauen und halten - zu Mitgliedern, Nahestehenden, Interessierten. Erneuerung gelingt, wenn wir unsere Jugendarbeit professionalisieren und öffnen.

20. Erneuerung heißt: Sei Du selbst die Erneuerung, die Du Dir wünschst!“

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick am 8. März 2018.


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