05.10.2017

Steinmeier ist selbst nicht ganz ehrlich - leider

Der Bundespräsident wurde am Tag der Deutschen Einheit beim Thema Flucht und Migration sehr deutlich. „Wir müssen uns ehrlich machen“, forderte er. Und er tat es auch – jedenfalls bedingt. Ehrlich war Frank-Walter Steinmeier, als er eine Unterscheidung forderte zwischen politisch Verfolgten und denen, die aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen.

Ehrlich war er auch, als er eine Klärung verlangte, „welche und wie viel Zuwanderung wir wollen, vielleicht sogar brauchen.“

Ehrlich war Steinmeier auch bei seinen Forderungen an Flüchtlinge und Zuwanderer. Sie müssen nach Ansicht des Staatsoberhaupts „unsere Sprache lernen“, unsere Verfassung ebenso akzeptieren wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

An die aus Osteuropa, Afrika oder den muslimisch geprägten Regionen zu uns Kommenden hatte er noch eine spezielle Forderung: „Zum Deutsch-Werden gehört, unsere Geschichte anzuerkennen und anzunehmen.“ So sprach der Präsident. Es war die abgehobene Sprache eines Staatsoberhaupts, das sich nicht in parteipolitische Grabenkämpfe begeben will und soll. Es war aber auch – deutlicher formuliert – das bei dem Ex-Außenminister Steinmeier gewohnte diplomatische Geschwurbel.

Versuchen wir also zu übersetzen, was der Bundespräsident gesagt hat:

- Unterscheidung zwischen Asylbewerbern und Wirtschaftsflüchtlingen „zurückzugewinnen“ bedeutet nicht weniger als zurück zu einer Asylpolitik nach Recht und Gesetz.

- Seine Integrations-Forderungen sind im Grunde der Ruf nach einer deutschen Leitkultur, weil die Verfassung als Leitlinie allein nicht ausreicht. Die Pflicht, „unsere Geschichte anzuerkennen und anzunehmen“ steht nämlich nicht im Grundgesetz.

Ja, es wäre nicht zu spät, um uns in der Flüchtlingspolitik „ehrlich zu machen“. Doch Frank-Walter Steinmeier wagte es nicht, dies selbst konsequent zu tun. Sonst hätte er, der während der Flüchtlingskrise und des staatlichen Kontrollverlust Außenminister war, hinzufügen müssen, dass die Bundesregierung damals schwer Fehler gemacht hat. Er hätte auch deutlich werden müssen „wie viel Zuwanderung“ denn seiner Meinung nach nötig und möglich ist. Schließlich hätte das Staatsoberhaupt sagen müssen, was mit den Zuwanderern geschieht, dies seinen Integrations-Kriterien nicht gerecht werden oder bewusst dagegen verstoßen? Werden antisemitische Zuwanderer, die den Holocaust leugnen, des Landes verwiesen? Und was geschieht mit muslimischen Ehemännern und Vätern, die ihren Frauen und Töchtern elementare Menschenrechte verweigern? Auf all das bleibt der Präsident eine Antwort schuldig. Mit Sicherheit hat es vielen Mitgliedern der „Refugees are welcome here“-Fraktion nicht gefallen, was Steinmeier ins seiner Einheitsrede gefordert hat. Aber wer als moralische Instanz an der Spitze des Staates ein ganzes Land auffordert, sich ehrlich zu machen, müsste selbst mit gutem Beispiel vorangehen – mit umfassender Ehrlichkeit.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 5. Oktober 2017.


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