01.10.2016 | FOCUS

Der Volksversteher

„Ganz nebenbei erwähnt der Autor es dann doch in seiner Einleitung: "Es wurde auch viel gelacht", berichtet Hugo Müller-Vogg über die Entstehungsgeschichte seines Interview-Buches mit Wolfgang Bosbach. Auch viel gelacht? Bei einem Mann wie dem fröhlichen CDU- Politiker kommt man doch meist aus dem Kichern und Prusten nicht heraus, oder? Wenn der temperamentvolle Rheinländer loslegt, reiht sich Kalauer an Pointe, Pointe an Witz, Witz an Gag. Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist ein Ausbund an Schlagfertigkeit und Humor. Doch er kann auch anders. Und von diesem "anders" gibt es sehr viel in dem Buch "Endspurt", das am 14. Oktober erscheint. FOCUS hat es schon gelesen.

Das Gespräch stellt einen Mann vor, der Lust hat auf Politik, der ungekrönter König der Talkshows ist, der sich kümmert und querstellt. Notfalls auch quer zur Linie seiner Partei und seiner Kanzlerin.

Es ist zugleich ein Mann, der mit geradezu peniblem Ernst Fakten sortiert. Das Zwiegespräch mit dem früheren Herausgeber der FAZ soll weder "Krawallbuch" noch Abrechnung sein, betont Bosbach, sondern eine Auseinandersetzung mit der eigenen Politik und der seiner Partei - was nicht immer dasselbe ist. Sein freiwilliges Ausscheiden aus dem Parlament kommentiert Bosbach so: "Auch wenn Sisyphos ein glücklicher Mensch war, möchte ich nicht für weitere vier oder gar acht Jahre seinen Job machen."

Selbst wenn er kerngesund wäre, hätte Bosbach sich wohl entschieden, 2017 nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren."Wahrscheinlich hätte ich auch ohne Krebserkrankung dieselbe Entscheidung getroffen, weil ich nicht auf Dauer einen Spagat zwischen notwendiger Loyalität gegenüber meiner Partei und wachsenden Zweifeln am politischen Kurs der CDU machen möchte. (. . .) Ich bin 1972 ja nicht durch Zufall oder Versehen Mitglied der CDU geworden, sondern wegen der Überzeugung, dass diese Partei die Probleme dieses Landes besser lösen kann als die politische Konkurrenz. Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert. Aber es hat doch eine gewisse Entfremdung zwischen der CDU und mir stattgefunden, leider in ganz zentralen politischen Fragen." (…)

Das Interview-Buch macht deutlich, dass der Vater dreier Töchter für seine Neigung zu offenem Widerspruch und zur Abweichung von Merkels politischer Linie in seiner Karriere früh einen Preis gezahlt hat. So jedenfalls hat er es erlebt. Der 64-Jährige erinnert sich an ein längeres Gespräch mit Angela Merkel, als die Kanzlerin in spe 2005 ihre Regierungsmannschaft zusammenstellte:

"Sie hat mir kein bestimmtes Amt zugesagt. Aber sie hat mich gefragt, ob ich auch ein anderes Amt übernehmen würde, wenn es mit meinem Traum vom Innenminister nichts würde. Damals war Volker Kauder als Chef des Kanzleramts im Gespräch, und für diesen Fall hätte ich gerne den Fraktionsvorsitz übernommen. Ich sagte Angela Merkel aber auch, dass ich nicht gegen Kauder antreten würde. Ich verließ Merkel mit dem Gefühl, ich würde entweder Innenminister oder Fraktionsvorsitzender."

Doch es kam anders: "Zu meiner völligen Verblüffung teilte mir Angela Merkel dann eine Stunde vor der Bekanntgabe des Kabinetts telefonisch mit, Wolfgang Schäuble würde Innenminister und Volker Kauder Fraktionsvorsitzender. Da war der Traum vom Bundesinnenminister für mich endgültig ausgeträumt." Frust über eine Vollbremsung auf der Karriereleiter? Das weniger. Bosbach zeigt im Rückblick sogar Verständnis für die Entscheidung der Kanzlerin. "Ich hatte kurz danach mit Angela Merkel ein, wie man so sagt, sehr freimütiges Gespräch. Das verließ ich mit dem Gefühl, Merkel sei sich nicht sicher, ob dieser Bosbach immer hundertprozentig ihrer Linie folgen würde. Wenn das ihre Einschätzung war, dann hatte sie sogar recht (lacht)." (…)

Offenkundig aber kann sich der aufmüpfige CDU-Politiker durchaus vorstellen, was seine Haltung für die Regierungschefin und Fraktionschef Volker Kauder bedeutet. Wäre eine Fraktion, die nur aus "Bosbachs" besteht, überhaupt arbeits- und funktionsfähig? Genau diese Frage stellt auch Müller-Vogg. Die Antwort: "Mit dieser Truppe hätte selbst ein Fraktionsvorsitzender Bosbach große Schwierigkeiten."

Dennoch (oder gerade deshalb?) ist der Jurist in der Bevölkerung sehr beliebt; in Popularitätshitlisten schafft er, der "einfache Abgeordnete", es bisweilen auf einen Spitzenplatz. Bosbachs Neigung, sich notfalls auch gegen die eigene Truppe zu stellen, hat übrigens nicht erst mit der Euro-Krise begonnen. Und wer ihm hier Profilierungsdrang vorwirft, kann sehen, wie sich seine Miene verfinstert. "Bei solchen Vorwürfen hört für mich der Spaß auf", sagte er Co-Autor Müller-Vogg.(…)

So gern Bosbach den Entertainer gibt, mitunter wird der Dialog aber auch ernst. Todernst. "Haben Sie schon ernsthaft darüber nachgedacht: Falls die Schmerzen zu schlimm werden, dann mache ich Schluss", fragt Müller-Vogg. Die Antwort des überzeugten Katholiken: "Nein, das ist für mich überhaupt kein Thema. Wobei ich natürlich nicht weiß, was noch alles auf mich zukommen könnte. Man sollte da also mit Prognosen vorsichtig sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in eine Situation kommen könnte, in der Suizid eine Option wäre. Vielleicht will ich mir das auch gar nicht vorstellen. Deshalb halte ich mich mit Unwert-Urteilen über das Handeln anderer sehr zurück."

Bosbach, einer der größten Medien-Lieblinge des Landes, fühlt sich manchmal keineswegs optimal behandelt. Einige Grünen-Politiker hätten es da besser, meint er. Und so hat der 64-Jährige noch einen persönlichen, nicht ganz ernst gemeinten Traum: "Ich möchte nur einmal in meinem Leben im gemeinsamen ,Morgenmagazin' von ARD und ZDF von Christiane Meier mit so viel Zuneigung und Liebe interviewt werden wie Katrin Göring-Eckardt (lacht)."

(Quelle: FOCUS vom 01. Oktober 2016)