23.02.2013

Zwei Pässe sind undemokratisch

Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger hat ein Thema entdeckt: die doppelte Staatsbürgerschaft. Die will sie generell zulassen. Denn angeblich führe die geltende Optionslösung dazu, „dass sich Menschen von Deutschland abwenden“.

Ob die Liberale damit von den zahlreichen FDP-Querelen ablenken oder die Freien Demokraten für eine „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP herausputzen will, ist nebensächlich.
Viel schwerer wiegt, dass ihre Begründung falsch ist. Neun von zehn jungen Leuten, die sich zwischen zwei Staatsangehörigkeiten entscheiden müssen, optieren nämlich für die deutsche. Statt uns über dieses Bekenntnis zu unserem Land zu freuen, jammern wir über den Entscheidungsdruck, dem sich diese jungen Doppelstaatler angeblich ausgesetzt fühlen. Deutscher geht’s nimmer.

Nun leben in unserem Land viele Menschen mit zwei Pässen. Bürger aus EU-Staaten können das ohne weiteres. Auch Angehörige solcher Staaten, die das Ablegen ihrer Staatsangehörigkeit gar nicht zulassen, sind darunter. Von völkerrechtlich komplizierten Spezialfällen einmal abgesehen, ist die doppelte Staatsbürgerschaft eigentlich ein Unding. Niemand kann sich vorbehaltlos zu zwei Ländern und ihren jeweiligen Grundordnungen bekennen. Da muss man sich schon entscheiden.

Zwei Pässe sind im Grunde auch undemokratisch. Warum darf ein hier lebender Deutsch-Italiener dank seiner zwei Pässe jetzt das italienische Parlament ebenso mitwählen wie am 22. September den deutschen Bundestag? Er kann am Sonntag für Berlusconi stimmen und damit für ein Ende der Sparmaßnahmen und im September bei uns für eine der Parteien, die den südeuropäischen Schlendrian gerne finanzieren. Was privilegiert diesen Deutsch-Italiener eigentlich, in Europa mehr politischen Einfluss zu haben als ein „einfacher“ Deutscher mit nur einem Pass und nur einer Stimme?

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Zwei Pässe bieten mehr Optionen als einer. Ob bei Sozialleistungen, in der Krankheits- oder Altersversorgung: Rosinenpickerei ist ganz legal möglich. Ganz bedenklich wird es, wenn jemand Deutschland verlassen kann, um in seinem Zweit-Land Schutz vor Strafverfolgung zu genießen. Ein Rechtsstaat kann so etwas nicht immer verhindern, aber er sollte es nicht auch noch fördern.

Ganz nebenbei: Alle deutschen Parteien (mit Ausnahme der Piraten) haben in ihren Satzungen eine Bestimmung, wonach die gleichzeitige Mitgliedschaft in einer anderen Partei zum Ausschluss führt. Wenn aber zwei Pässe angeblich nicht zu Loyalitätskonflikten führen, wieso dann zwei Parteibücher? Oder ist aus Sicht von Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten das Bekenntnis zu einem Staat nicht so ernst zu nehmen wie das zu einer Partei? Das wäre ein seltsames Staatsverständnis.

Nun geht es in der aktuellen Debatte ja – leider – nicht um die grundsätzlichen Probleme, die mit doppelten Staatsbürgerschaften verbunden sind, sondern in erster Linie um die hier geborenen Kinder türkischer Eltern. Bei denen besteht aus vielfältigen Gründen die Gefahr, dass sie sich in ihrer Parallelgesellschaft sehr wohl fühlen, sie also gar keinen Grund sehen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Da ist der deutsche Pass dann eine nette Beigabe zum türkischen – und damit kein Instrument der Integration.

Die Türkei lässt die doppelte Staatsbürgerschaft ausdrücklich zu. Dem derzeitigen Regierungschef graut zwar vor einer „Assimilation“ seiner Türken an die Deutschen. Aber er möchte schon, dass sie hier mit ihrer Stimme die deutsche Politik beeinflussen können. Umgekehrt ist der Einsatz von Rot-Grün für die doppelte Staatsbürgerschaft nicht ganz selbstlos: Sie kalkulieren kühl mit dem Dank türkischer Doppelstaatler an der Wahlurne.

Nun gibt es aus der Sicht von hier aufgewachsenen Menschen türkischer Abstammung ein nachvollziehbares Interesse an zwei Pässen. Denn die Türkei benachteiligt Nicht-Türken beispielsweise beim Erbrecht und beim Erwerb von Grundbesitz. Auch deshalb sind zwei Pässe sehr hilfreich. Aber nahe liegend wäre, die Bundesregierung spräche mit der Türkei ernsthaft über diese Benachteiligung von ausgebürgerten Türken, statt großzügig einen Zweitpass auszustellen. Auch müsste Berlin mit Ankara einmal über die gängige Praxis reden, dass Türken nach Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft sich in der alten Heimat einfach wieder einen türkischen Pass ausstellen lassen.

In einem Punkt haben die Liberalen ja Recht: Wir brauchen eine „Willkommenskultur“. Und zwar für alle, die dieses Land zu ihrem machen wollen, die sich ohne wenn und aber für die Bundesrepublik entscheiden, aber nicht für die, die sich aus zwei Welten jeweils das Beste herauspicken wollen.  

Erstveröffentlichung: www.cicero.de, 22. Februar 2013