1.6.2004 | NETZEITUNG.DE

Ein Präsident stellt sich vor

Vor seiner Kandidatur zum Bundespräsidenten war Horst Köhler nur Polit-Profis bekannt. Ein neues Buch soll nun erklären, wer er ist, wo er herkommt und was er politisch will.

Von Katharina Schuler

Horst Köhler hat kein Buch geschrieben. Aber er hat Fragen beantwortet, 18 Stunden lang. Das Ergebnis ist jetzt als Gespräch mit dem Journalisten Hugo Müller-Vogg in Buchform erschienen. Kurz nach der Nominierung des künftigen ersten Mannes im Staat sei die häufigst gestellte Frage «Horst Wer?» gewesen, scherzte Müller-Vogg bei der Vorstellung des Buches am Dienstag in Berlin. Ganz so schlimm steht es um Köhlers Popularität zwar nicht mehr, aber jetzt soll man ihn noch besser - und auch privat - kennen lernen.

Drei von sieben Kapitel sind der biographischen Entwicklung Köhlers gewidmet, in den übrigen geht es um seine politischen Grundlagen, seine Utopien («eine globale Welt braucht ein Weltethos») und sein Amtsverständnis.

American Dream

Die private Geschichte von Horst Köhler ist die eines Aufsteigers, sozusagen die bundesrepublikanische Ausprägung des American Dream. Sein Weg führte vom Flüchtlingskind und Bauern-Jungen über den Studenten, der sich auf dem Bau als Gipser verdingte, zum Finanzfachmann und politischen Beamten, der wesentlichen Anteil an der europäischen Integration und der deutschen Einigung nahm, schließlich im Ausland in wichtiger Funktion arbeitete und nun das höchste Amt einnehmen wird, das dieses Land zu vergeben hat. «Man könnte sich dieses Leben auch gut als Vorabendserie über 50 Jahre Bundesrepublik vorstellen», sagte Verleger Manfred Bissinger.

Dass er sich hochgearbeitet hat, wird Köhler vielleicht glaubwürdiger machen, wenn er – wie er es in seinem Buch ausgiebig tut - fordert, dem einzelnen mehr Verantwortung für sein Leben zu geben und den Staat zu entlasten. Vielleicht verstellt es ihm aber auch manchmal den Blick darauf, dass sein Lebenslauf nicht beliebig wiederholbar ist.

Kein Stockkonservativer

Müller-Vogg hat in seinen Gesprächen mit Köhler nach eigenen Angaben aber auch festgestellt, dass der neue Bundespräsident kein «Stockkonservativer» ist. So weigert sich Köhler nachdrücklich, der Generalverurteilung der 68er, die ihm von dem Interviewer, der mit seiner eigenen Meinung an keiner Stelle hinterm Berg hält, immer wieder nahegelegt wird, zuzustimmen. Die Fragen, die die 68er gestellt hätten, habe er nie als illegitim empfunden, betont Köhler. Gestört habe ihn lediglich die Art, wie sie vorgetragen wurden. Wenn Sit-Ins angesagt waren, blieb der Student Köhler zuhause. Er hatte keine Zeit zu verschwenden.
An seinem Ziehvater Helmut Kohl äußert Köhler ebenfalls vorsichtige Kritik. Ein Ehrenwort stehe niemals über dem Gesetz, stellt er bei der Buchvorstellung klar. Auch kritisiert er, dass bereits die Regierung Kohl es verpasst habe, Reformen in Angriff zu nehmen. Hätte man das Lambsdorff-Papier von 1982 wirklich umgesetzt, wäre man heute deutlich weiter, sagt Köhler.

Reformen erklären

In den Wochen seiner Kandidatur hat Köhler schon viel gelernt. Die meisten seiner Äußerungen sind diplomatisch, ausgewogen, mittig. Ein Faux-Pas wie am Anfang, als Köhler Angela Merkel kurzerhand als Kanzlerkandidatin empfahl, wird ihm so leicht wohl nicht mehr unterkommen. Keineswegs habe er der CDU-Chefin empfohlen, eine zweite Margret Thatcher zu werden, betont er zum Beispiel. Er habe lediglich gesagt, man brauche Reformen ähnlichen Ausmaßes.

Eher zufällig lässt Köhler am Ende der Veranstaltung dann doch noch mal durchblicken, wie sehr ihn das Vorbild der USA geprägt hat. Auch dort gebe es große Probleme, räumt er ein. Doch die Menschen gingen anders mit den Herausforderungen um. Wenn man dort arbeitslos werde, packe man eben Möbel und Haushalt zusammen und ziehe weiter. «Diesen Optimismus» wünscht Köhler sich auch für Deutschland. Wenn er seine Reformen so erfolgreich erklären kann, wie er hofft, könnte Deutschland mit ihm amerikanischer werden.

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