Frankfurter Rundschau v. 29.08.2005, S.34, Ausgabe: S Stadt
Von Claus-Jürgen Göpfert
Gute Geschäfte mit Heuschrecken
SPD-Debatte im Haus der Jugend mit dem konservativen Frankfurter Publizisten Hugo Müller-Vogg
Über den Dächern der Stadt haben die Sozialdemokraten am Sonntag gewagt, was doch in Wahlkampf-Zeiten eher selten ist: Die politische Grenzüberschreitung. Die SPD-Sachsenhausen-Ost, größter Frankfurter Ortsverein, lädt den konservativen Publizisten Hugo-Müller-Vogg, von dem sich die FAZ 2001 als Herausgeber für Frankfurt getrennt hatte, zur Diskussion. Der 58-Jährige, einst badischer Jugendmeister im Hammerwerfen, bleibt seinem Motto treu: "Ich spitze gerne zu" – mit der Einschränkung: "Aber es sollte nicht persönlich werden."
Und so entspinnt sich im Skyline-Saal des Hauses der Jugend – mit wundervollem Blick auf die Bank-Hochhäuser – die schönste Debatte. Müller-Vogg hat sein neuestes Buch ("Schröder oder Merkel – die schnelle Wahlkampfhilfe", Hoffmann und Campe) mitgebracht, aber solchen Anstoßes bedarf es gar nicht. Die Sozialdemokraten geben dem Bild-Kolumnisten Kontra. "Mich ärgert das total, was Sie geschrieben haben!", ruft Bundestagskandidatin Ulli Nissen. Da ging es um die Heuschrecken-Debatte – und Müller-Vogg erinnert lächelnd daran, dass der frühere Bundesverkehrsminister Franz Müntefering mit den Kapitalfonds, die er heute als SPD-Vorsitzender kritisiert, "gute Geschäfte gemacht" habe – seinerzeit beim Verkauf der Bundes- Autobahnraststätten. Konter von Nissen: "Aber heute werden die Unternehmen plattgemacht – die Raststätten gibt es aber immer noch, weil das in Verträgen abgesichert wurde!"
Ganz schnell ist man bei der Deutschen Bank, deren Doppeltürme vom anderen Mainufer herüberleuchten. Für die Entlassungen dort bei gleichzeitigem Milliarden-Gewinn bietet Müller-Vogg eine schlichte Erklärung: "Da werden doch nur Bereiche abgebaut, die nicht profitabel sind." Wieder hält es Nissen kaum auf ihrem Stuhl – sie hat sich als kritische Aktionärin auf der Hauptversammlung in Frankfurt zu Wort gemeldet und wurde hinterher sogar von Bank-Mitarbeitern in der U-Bahn angesprochen, weil "die Motivation im Haus absolut katastrophal" sei.
Arbeitsplätze und Atom
Manchmal gerät Müller-Vogg ganz schön ins Schwimmen – etwa, als der frühere SPD-Vize im Römer, Klaus Sturmfels, ihn fragt, wieviel Arbeitsplätze denn CDU-Kandidatin Merkel schaffen werde. "Ich finde es gut, dass sie sich nicht auf Zahlen festlegt", fällt dem Publizisten da ein.
Bei der Atomenergie wird es richtig munter. Müller-Voggs These: Man könne nicht einerseits Atomkraftwerke verteufeln, aber andererseits als Ersatz Atomstrom aus Frankreich beziehen. SPD-Kandidat Gregor Amann: "Wir wollen alternative Energien." Zuruf aus demPublikum: "Da werden zig Milliarden für die Förderung von Windkrafträdern rausgeschmissen!" Dazu Nissen: "Aber das ist innovativ!" – Petra Tursky-Hartmann, die Vorsitzende von Sachsenhausen-Ost, überlegt nun, mal öfter mit Veranstaltungen die politischen Grenzen zu überschreiten. Es könnte sich lohnen.