Ich habe in meinem Bekanntenkreis zwei Journalisten, die völlig konträre Prognosen abgegeben haben: Der ein, ein Verleger, sagt: Merkel wird die Wahl im Herbst verlieren und danach von der Bildfläche verschwinden. Der andere, der Chefredakteur eines Magazins, meint: Merkel gewinnt turmhoch.
So ist das mit Prognosen. Mutig, wer sich traut eine abzugeben. Wenn sie dann auch noch zutrifft – Respekt. Dafür ist es aber umso peinlicher, wenn sich die Voraussage als falsch herausstellt.
Ich traue mir zum jetzigen Zeitpunkt keine Prognose zu, was nach der Wahl im September geschieht. Noch ist alles möglich: Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, rote oder schwarze Ampel, Volksfront.
Der Journalist Hugo Müller-Vogg hat sich die Mühe gemacht und eine kleine Prognose zu Papier gebracht. Die Wahl geht demnach so aus: CDU/CSU 35,8 Prozent (+0,6), SPD 30,1 (-4,1), Linke 11,5 (+2,8), FDP 11,4 (+1,6), Grüne 7,1 (-1), Sonstige 4,1 (+0,1). Damit wären die Mehrheitsverhältnisse im Großen und Ganzen unverändert.
Müller-Vogg hat sich aber nicht mit dieser Voraussage dieses Wahlergebnisses zufrieden gegeben, sondern auf 144 Seiten ein „Drehbuch für die rot-rot-grüne Wende“ geschrieben. In seinem Buch über die Volksrepublik Deutschland beschreibt er, wie Müntefering, Steinmeier und Nahles nach der Wahl entscheiden: „So geht es nicht weiter.“ Ein Jahr nach der Wahl, also im Herbst 2010, lassen sie es zum Bruch mit Angela Merkel kommen, die erstmal weiterregieren durfte und dann durch Bundeskanzler Steinmeier aus dem Amt gedrängt wird. Vieles von dem Putsch erinnert an die Vorgehensweise Klaus Wowereits, der 2001 den CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen kalt entsorgt und seine große Koalition durch eine Volksfrontregierung ersetzt hat.
Der Leser denkt sich immer nur: Genau so könnte es laufen. Müller-Vogg hat tatsächlich sehr lebendig und sehr realitätsnah beschrieben, wie es kommen könnte. Absolut naturecht, seine Prognose. Er zitiert sogar schon vorweg, was Kommentatoren wie Franz Walter im „Spiegel“ oder Hans-Ulrich Jörges im „Stern“ schreiben werden. Teilweise vermengt er deren fiktive Aussagen mit dem, was sie in Wirklichkeit schon in der Vergangenheit gesagt haben – vor allem hinsichtlich einer Koalition mit den SED-Nachfolgern. Es fehlt nur noch, dass Müller-Vogg schonmal vorab zitiert, was Müller-Vogg im November 2010 in seiner „Bild“-Kolumne schreiben wird.
Immerhin lässt er künftige Anne-Will-Sendungen vor dem Auge des Leser ablaufen, mit kompletten Wortgefechten. Wer das alles liest, dem geht ein Licht auf, wie vorhersehbar das Gesabbel in diesen Talkshows eigentlich ist. Die hohle Phrasendrescherei der Pofallas, Roths, Lauterbachs und Gysis – sie wird auf die Spitze getrieben.
Zu den schönsten Überraschungen auf dieser Welt gehört die: Ich nehme ein Buch von einem Autoren zur Hand, den ich kenne und langweilig finde – und stelle fest, dass er wider Erwarten ein gutes Buch geschrieben hat. Von dem früheren „FAZ“-Mann Hugo Müller-Vogg kommt Kritik am System nur in homöopathischen Dosen. Das ist zu wenig. Mit seinem fiktiven Roman aber hat er ein tolles Buch vorgelegt, das uns zeigt, wie verlogen der ganze Politikbetrieb in Berlin wirklich ist. Es ist uneingeschränkt zu empfehlen.
Aus: ef-online vom 28.05.2009
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