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Presse
23.12.2002 | TagesspiegelPraktisch konservativ
Mal in der Nähe der CSU, mal ein bisschen sozialdemokratisch – Roland Koch ist schwer einzuordnen. Nur eines ist sicher: Er will Kanzler werden
Von Manfred Bissinger
Roland Koch ist ein viel beschäftigter Mann. Er regiert das Bundesland Hessen und führt die dortige CDU gleich mit. Nebenbei versucht er immer wieder, seine Bundespartei in Aufregung zu versetzen; schließlich will er sich und seine Parteifreunde auf den Countdown mit Angela Merkel um CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur einstimmen. Jetzt hat er auch noch, um Zeugnis von seinen Qualitäten abzulegen, dem Journalisten Hugo Müller-Vogg in acht ausführlichen Sitzungen Herz und Hirn ausgeschüttet. Der Ex-FAZ-Herausgeber hat die Tonbänder zu seinem alten Arbeitgeber getragen, der flugs rechtzeitig zur Wahl zur Hessenwahl am 2. Februar ein Buch daraus fertigte. Schließlich gehört Roland Koch zum Führungspersonal der Republik, und da kann es nur gut sein, wenn jeder weiß, wie er tickt und was er so alles anzubieten hat.
Nachhaltig ins Bewusstsein der Bundesbürger trat Roland Koch mit einer Unterschriftenaktion gegen die rot-grüne Reform zum Staatsbürgerschaftsrecht und dann – nach gewonnener Landtagswahl – wieder, als bekannt wurde, dass seine hessische CDU und ihre Altvorderen illegal Geld ins Ausland transferiert hatten und Koch in Folge mit der Wahrheit kollidiert war. Zugespitzt – und im drastischen Vokabular des heutigen politischen Meinungskampfes formuliert: Er hatte gelogen. Im Interview-Buch sagt Koch jetzt dazu, sein Fehlverhalten bereite ihm „keine großen moralischen Probleme“. Die verdrängt er sowieso gerne aus dem politischen Alltag. Immerhin, so verrät Koch, stand er kurz vor dem Rücktritt. Als Polit-Profi zieht er die knappe Schlussfolgerung: „Wenn man gelegentlich die Dinge auf sehr kantige Begriffe zuspitzt, dann verletzt man auch den Gegner. Dann kann man nicht die Mimose spielen, wenn man selbst verletzt wird.“ Und als Schlüsselsatz seiner Strategie darf gelten: „Am Ende muss man sich fragen, ob die Demokratie oder die Medien entscheiden, was in der Gesellschaft passiert. Wenn die Medien entschieden hätten, wäre es anders ausgegangen…“ Ein Satz, den Roland Koch sicher noch häufiger gebrauchen wird.
Widerstandsfähige Politiker zeichnen sich eben auch dadurch aus, dass sie selbst nach großen Pannen Erklärungen anzubieten haben, die überzeugen, mindestens aber plausibel machen, warum und wie es zu der Verfehlung kommen konnte. Und wenn es nur schwer zu erklären ist, wie gerade Kochs unsäglicher Judenstern-Vergleich, dann bleibt immer noch die sofortige Entschuldigung, und alles ist aus der Welt. Herta Däubler-Gmelin hatte das bei ihrem Hitler-Bush-Vergleich versäumt und musste gehen. Roland Koch dagegen steht weiter fest auf der vorletzten Stufe der großen Karriere-Leiter ins höchste deutsche Amt – und das ist immer noch das des Bundeskanzlers.
Hoffen auf Rot-Grün
Klar, er rüttelt nicht an den Gitterstäben, diese Szene ist abgedreht und nicht mehr wiederholbar. Sowieso gibt es nur noch Gitter am Seiteneingang. Offen bleiben nach Lektüre der Koch’schen Einlassungen auf Müller-Voggs oft insistierende Fragen: Wann tritt er an? Welche Gelegenheit nutzt er? Und vor allem: Wie wird er den Widerstand der Angela Merkel brechen, die ja – wie wir gerade durch Friedrich Merz erfahren haben – über große List und unbändigen Machtwillen gebietet? Dabei käme Roland Koch ein schneller Zusammenbruch von Rot-Grün gar nicht gelegen – würde es ihn doch um Jahre, wenn nicht ganze Legislaturperioden, zurückwerfen. Denn jetzt hat er sich erst mal den Hessen verschrieben.
Koch kommt zu Merkel kein klares „Ja“ über die Lippen. Auf Müller-Voggs unzweideutige Frage: „Angela Merkel ist jetzt unumstritten die Nummer eins?“, antwortet er ausweichend, Merkel habe „die zentrale Verantwortung für die gesamte Strategie der Union übernommen“; um danach anzuschließen: „Die Aufgabe ist nicht einfach.“ Kochs Analyse ist auf seinen Terminkalender abgestellt: „Im Jahr 2006 wird die Zeit endgültig reif sein für die Ablösung von Rot-Grün.“ Und damit für ihn als Kandidaten. Wichtige Voraussetzung: Koch gebietet über den notwendigen Pragmatismus. Seine Pläne wurzeln eher in der Mitte der Gesellschaft, zielen auf die Mehrheit, auch dann, wenn Müller-Vogg ihn mit so mancher Frage lieber weiter rechts festnageln möchte.
Lberale Anflüge
Manchmal beschleicht den Leser bei der Lektüre des Buches das Gefühl, überspitzt formuliert, da fragt ein Ultra-Konservativer einen Liberal-Konservativen; so schätzt Koch seinen ehemaligen hessischen Gegner Joschka Fischer geradezu milde ein, ebenso wie er sich weigert, den von Schröder gewollten Holzmann-Kompromiss zu verurteilen, oder wie er die Wischi-Waschi-Rolle des Kanzler-Kandidaten Edmund Stoiber im Wahlkampf verteidigt. In der Sozialpolitik entpuppt er sich eher als Sozialdemokrat, während er in Rechts- und Ausländerfragen noch näher an die CSU rückt. Nur FDP-Positionen finden sich wenige. Roland Koch ist konservativ; neo-liberal scheint für ihn keine Alternative.
Als Wähler wünschte man sich ähnliche Bücher über alle Spitzenpolitiker. Sie würden manchen Ärger nach der Wahl vermeiden helfen. Vielleicht sogar manchen Untersuchungsausschuss. In dem auf Kochs Drängen gerade in Berlin konstituierten zum Thema „Wahlbetrug“ werden die Abgeordneten erstaunt die Seiten 188 ff. lesen.
Dort referiert er über die Frage, dass in Wahlkämpfen so manches zum Besten gegeben wird, was hinterher nicht mehr wirklich zählt. Da ist von „Taktik“ die Rede, und als Müller-Vogg fragt, was er denn von Stoibers Hinweis vor der Wahl gehalten habe, es gebe kein automatisches Überflugrecht für amerikanische Kampfjets, da habe Stoiber doch am Ende Schröder noch in negativer Hinsicht übertroffen, antwortet Koch: „Da hatte er gar keine andere Wahl. Er ist bis an die Grenzen dessen gegangen, was im bürgerlichen Lager vertretbar ist – nur um die irrationalen Ängste zu entkräften, die Union wolle Deutschland in einen Krieg verwickeln.“
Was heißt „an die Grenzen dessen“? Beginnt da nicht schon die Täuschung? Oder der Wahlbetrug? Denn genau solche Argumente konnten auch Gerhard Schröder und seine SPD nach der Rede des US-Vizepräsidenten Dick Cheney geltend machen, in der er für den Irak-Krieg auch ohne ein UN-Mandat plädierte. Aber das ist der Charme dieser 200-seitigen Befragung: Müller-Vogg fragt spitz, und Koch antwortet ohne Winkelzüge. Wer mehr über ihn wissen will, dem liefert dieser Band wertvolle Hinweise auf Persönlichkeit, Programm und Perspektiven.
Roland Koch (im Gespräch mit Hugo Müller-Vogg): Beim Wort genommen. Societäts Verlag Frankfurt a.M., 2002, 14,80 Euro.
(Tagesspiegel)
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